Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
Respekt vor seiner Frau weigern, falls ich mein Anliegen ganz offen vorbrachte. Pierre war ein anständiger Mann. Überhaupt hatte er all die guten Eigenschaften, die man sich für sein Kind nur wünschen konnte, und was wollte ich mehr?
Ich machte mich also daran, Pierre zu verführen, doch meine Zeit war knapp bemessen. Er würde gerade einmal zwei Wochen in Clochamps sein, während derer nur vier oder fünf Tage für eine Schwangerschaft in Frage kämen.
Wie erwartet, war es nicht ganz leicht. Aus Treue zu seiner Frau – und wohl auch aus Sorge um mich – , ist Pierre zunächst nicht auf meine Annäherungsversuche eingegangen. Aber ich wusste, dass er mich noch immer mochte. Letztendlich bedurfte es zwar ein wenig der Überredung, aber ich musste mich nicht dazu herablassen zu betteln, wofür ich sehr dankbar war. Die nächsten drei Nächte verbrachten wir zusammen im Anbau gleich neben dem Schlachthof seines Onkels. Es war nicht gerade der beste Ort, um ein neues Leben zu erschaffen, aber günstige Winde wehten den Geruch glücklicherweise von uns weg ins Tal, und ein paar Gläschen pastis taten ein Übriges, uns die Umstände vergessen zu lassen. Pierre war ein aufmerksamer und zärtlicher Liebhaber. Erneut bedauerte ich, dass seine Zuneigung nur vorübergehender Natur war und er bald zurückkehren würde nach Limoges, zu seiner Frau. Zum ersten Mal war ich ein bisschen verliebt. Pierre war unglaublich lieb und hatte etwas so Unschuldiges an sich, dass es mir noch schändlicher vorkam, ihn so zu hintergehen. Er konnte sich kaum genug dafür entschuldigen, mich auf Abwege geführt zu haben. Ich versicherte ihm, dass es dazu keinen Grund gäbe. Wir würden einfach so tun, als sei nichts gewesen, und nie wieder davon sprechen. Allerdings, gab ich zu bedenken, wäre es wohl besser, wenn er im folgenden Jahr nicht nach Clochamps käme. Wir müssten unser leichtfertiges Benehmen hinter uns lassen, und er habe zudem an seine Frau zu denken, in deren Schuld er jetzt stehe. Pierre hielt Wort und kam so bald nicht wieder, worüber ich froh war und es zugleich bedauerte.
Zur großen Freude meines Vaters sollte die Saat aufgehen. 1967 wurde mein geliebter Jean Luc geboren, ein kräftiger und gesunder Junge. Papa fiel ein Stein vom Herzen vor Erleichterung, und mir ging es nicht anders. Ich weiß, dass es in manchen Familien eine große Schande ist, ein uneheliches Kind zu bekommen, und gewiss wird man sich im Dorf das Maul über mich zerrissen haben, aber nie hat jemand etwas zu mir gesagt. Wohl aus Respekt mir und vor allem meinem Vater gegenüber galt ich gemeinhin als »die junge Witwe«. So war das zu jener Zeit: Lieber einen toten Gatten betrauern als eine ledige Mutter sein. Papa, dessen verschmitzter Humor endlich wieder zum Vorschein kam, zwinkerte mir oft verschwörerisch zu: »Und, wie geht es der jungen Witwe heute?« Ihn amüsierte das alles ganz außerordentlich. Es war, als hätten wir den Nachbarn ein Schnippchen geschlagen.
Vom Tag seiner Geburt an waren Jean Luc und Papa unzertrennlich. Mein Vater fertigte sich ein Tragegeschirr aus Ledergurten, mit dem er sich den Kleinen auf den Rücken schnallen konnte, und er nahm ihn überallhin mit: ins Dorf, auf den Markt, zum Bürgermeister, zu Besprechungen mit dem Verwalter. Mit jedem neuen Fortschritt seines Enkels besserte sich auch Papas Gemütsverfassung, trotz seiner zunehmenden Gebrechlichkeit. Jean Lucs erstes Wort war dann auch prompt »Papi«. Ich versuchte, das nicht persönlich zu nehmen, schließlich hatte sein Opa seit der Geburt alles darangesetzt, es ihm beizubringen. Papa und ich konnten glücklicher nicht sein; es war, als hätte Jean Luc uns Frieden und Erfüllung gebracht. Erst als ich versuchte, mir ein Leben ohne meinen Jungen vorzustellen, wurde mir bewusst, wie sehr ich ihn brauchte und was mir zuvor gefehlt hatte.
In den darauffolgenden Jahren fand mein Vater beinah zu alter Form zurück. Als hätte es den Krieg nie gegeben, war er wieder voller Ideen und Tatendrang. Zur einen Seite des noch immer darbenden Weinbergs wurden Obstplantagen angelegt, auf der anderen ein Olivenhain. Jean Luc schien uns Glück gebracht zu haben, und auch mit unseren Finanzen ging es wieder bergauf. Bald konnten wir es uns leisten, für die Feldarbeit zusätzliche Saisonarbeiter einzustellen. So auch im Sommer 1973.
VIII
MICHAEL
In den Tagen nach dem Brand tat niemand ein Auge zu. Die Weinlese wurde abgeblasen. Ich schlug vor, nach Hause zu fahren,
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