Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
darum, dass es ein grundlegender Teil meiner Persönlichkeit ist.«
»Aber es ist eine Sünde!«
»Ich weiß, Pater.«
So drehten wir uns noch eine Weile im Kreis. Ich erklärte ihm, dass, selbst wenn ich es nie wieder täte, ich doch immer weiter an es denken müsste. Gleiches galt auch für den Mann, mit dem ich es machen würde. Pater Ignatius wurde rot und hielt dagegen, dass auch der Gedanke daran eine Sünde wäre. Er schlug mir vor, stattdessen doch an andere Dinge zu denken, an Blumen oder Bäume zum Beispiel. Ich wollte wissen, warum es eine Sünde sei, wenn ich doch niemandem damit schade, und diese Frage schien ihn zu verwirren.
»Was ist mit Heiraten? Kinderkriegen?«
»Ich will keine Kinder.«
»Was, wenn du es dir anders überlegst?«
»Das mit dem Kinderkriegen oder das mit dem Schwulsein?«
»Ersteres.«
»Was, wenn Sie sich das mit dem Kinderkriegen anders überlegen?«
Schweigen. Darauf schien er keine Antwort parat zu haben.
Bei jedem anderen Priester wäre mir meine Frage als Gipfel der Impertinenz erschienen, doch er hatte so etwas Sanftes an sich und wirkte kein bisschen einschüchternd.
»Das werde ich nicht«, sagte er schließlich.
»Ich auch nicht.«
»Und was ist mit dem anderen?«
»Schwul sein? Ich kann es mir nicht anders überlegen! Das war keine Entscheidung, ich bin so! Ich habe mich nur dafür entschieden, mich nicht mehr damit zu verstecken. Ich habe es wirklich versucht, aber ich war nie an Frauen interessiert. Warum sollte sich das jetzt auf einmal ändern?«
»Ich auch nicht«, sagte er.
Erst dachte ich, er hätte irgendwie den Faden verloren. Worin stimmte er mir zu? Dann vergrub der Pater plötzlich das Gesicht in den Händen und suchte hektisch nach einem Taschentuch, um sein Schluchzen darin zu ersticken.
Was sollte ich dazu sagen? Auf einmal fand ich mich in der Rolle des Seelsorgers.
»Was ist denn? Hören Sie, wenn ich irgendetwas gesagt habe, das Sie so aufgeregt hat, dann entschuldige ich mich. Das war nie meine Absicht … «
Als er mich schließlich ansah mit fast flehendem Blick, seine langen Wimpern feucht von Tränen, wusste ich sofort, was los war.
»Nein, Sie sind doch nicht etwa … ?« Ich konnte es unmöglich aussprechen. Allein die Andeutung schien blasphemisch.
Er nickte kläglich.
Dermot (wie er eigentlich hieß) war Priester geworden in dem verzweifelten Versuch, seiner Sexualität zu entkommen, als könne er sie durch bloßes Ignorieren zum Verschwinden bringen. Im Priesterseminar, so sollte er mir später erzählen, habe es nur so gewimmelt von schwulen jungen Männern. Die meisten fanden Trost aneinander. Aber er, dessen Elternhaus noch strenger katholisch war als meins, hatte sich fest vorgenommen, seinen Neigungen nicht nachzugeben. Mein Bekenntnis schien bei ihm alle Dämme brechen zu lassen, und er begann, mir von all den Jahren der Einsamkeit, der Frustration und Verdrängung zu erzählen. Mum strahlte uns an, als wir endlich wieder auftauchten; wir hatten über drei Stunden geredet.
Der Nachmittag endete damit, dass wir uns für den kommenden Sonntag nach der Messe auf einen Drink verabredeten. Es gab da dieses kleine Hotel in Bray, in dem wir hoffentlich ungestört sein konnten. Dermots Worten entnahm ich, dass er mit seinem Glauben und dem Priestertum nicht weniger haderte als mit seiner Sexualität. Die Kirche verdammte Männer wie uns, während gleichzeitig unter dem Dach der Kirche Dinge geschahen, vor denen man willentlich die Augen verschloss. Das ganze Ausmaß dieser Zustände haben wir erst in den letzten Jahren erfahren. Dermot wusste von Missbräuchen, er hatte sie gemeldet und dann mitansehen müssen, wie die Täter versetzt, befördert oder das »Fehlverhalten« vertuscht wurde. Dadurch war bei ihm das Gefühl entstanden, er würde sich mit den Tätern auf eine Stufe stellen, wenn er seine Sexualität auslebte. Es brauchte eine ganze Weile, bis ich ihm klarmachen konnte, dass da ein himmelweiter Unterschied bestand. Zwei Erwachsene, die einvernehmlich eine intime Beziehung eingingen, waren ja wohl kaum dasselbe wie ein älterer Mann, der seine Machtposition missbrauchte, um sich an einem Kind zu vergehen. Noch dazu an einem Kind, das häufig kaum alt genug war, um zu begreifen, was da mit ihm geschah. Wieder und wieder ging Dermot zur Beichte, er sprach mit seinem Bischof und versuchte ehrlich und aufrichtig zu sein. Man gab ihm zu verstehen, dass er die Sache für sich behalten solle oder mit einer Versetzung
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