Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
worauf Oliver verärgert erwiderte, es sei unsere Pflicht, hierzubleiben und zu helfen. Laura schloss sich ihm an, was mich erstaunte und zugleich beschämte. Eine Woche später, gerade rechtzeitig zu den Begräbnissen, wurde Madame aus dem Krankenhaus entlassen. Sie sah gespenstisch aus, die Arme und Hände dick bandagiert, mit Brandwunden im Gesicht. Was von ihrem Haar geblieben war, stand ihr in versengten Büscheln vom Kopf. Ich gab mir alle Mühe, sie zum Essen zu bewegen, und half ihr dabei, Salben auf ihr Gesicht und ihren Kopf aufzutragen, als die Haut langsam zu heilen begann. Die Küchenräume waren vom Feuer weitestgehend verschont geblieben, und ich organisierte sämtliche Mahlzeiten für die freiwilligen Helfer. Madame schien mir dankbar, doch nichts war mehr zu spüren von ihrer früheren Energie, ihrer Freude, ihrer Begeisterung. Ihr Körper schien nur noch eine leere Hülle.
Auch Oliver war seit jener Nacht verändert, und zwar ziemlich drastisch, wie ich fand. Natürlich wusste ich, dass Monsieur und der Junge ihm ans Herz gewachsen waren. Oliver jedoch trauerte um sie, als habe auch er seine Familie verloren, sprach kaum noch ein Wort und lief mit einer Grabesmiene herum. Am Tag der Beisetzungen verschwand er spurlos und tauchte erst spätabends wieder auf. Auf unsere Fragen gab er keine Auskunft und wehrte jeden Versuch ab, ihn zu trösten. Laura glaubte, dass Monsieur für Oliver zu einer Art Vater geworden war. Also versuchte sie, mit Oliver über seinen echten Vater zu reden, aber er machte jedes Mal dicht. Stattdessen stürzte er sich in die Arbeit und bemühte sich zu retten, was von Monsieurs Arbeitszimmer geblieben war – eine Aufgabe, der er sehr gewissenhaft nachging. Hatte er Laura zuvor schon kaltgestellt, so wurde ihr jetzt überhaupt keine Beachtung mehr geschenkt. Nach zwei Wochen war das Gröbste geschafft. Dass wir für unsere Arbeit keinen Lohn erwarteten, verstand sich von selbst. Wir erhielten weiterhin Kost und Logis, wobei ein Großteil des Essens von den Nachbarn gespendet und von mir zubereitet wurde. Der Weinberg lag brach, die Ernte verkam, und erste Überlegungen wurden laut, den zerstörten Ostflügel abzureißen. So schrecklich es war, für uns blieb nichts mehr zu tun. Das neue Semester hatte bereits angefangen, und es wurde Zeit, dass wir abreisten. Oliver packte schweigend seine Sachen und verabschiedete sich seltsam ungerührt von Madame, die ihm für seine Unterstützung und all seine Anstrengungen dankte. Monsieurs Sammlung historischer Landkarten hatte zum Teil gerettet werden können, doch Madame war untröstlich, dass von den meisten seiner Bücher nichts als Asche geblieben war. Ich weiß noch, wie Oliver sich gegen Madames Umarmung sträubte und sie völlig hilflos und verloren stehen ließ. Dafür hätte ich ihn umbringen können. Aber gut, auch Oliver schien schwer an seiner Trauer zu tragen.
Dann war es wieder Laura, die Anlass zu Sorge gab. Wider Erwarten weigerte sie sich, mit uns nach Hause zu fahren, und wollte in Clochamps bleiben, um Madame zu helfen. Ich konnte mir beim besten Willen nicht erklären, was jetzt schon wieder in sie gefahren war, und empfand es nur als ein weiteres Beispiel ihres zunehmend irrationalen Verhaltens. Es folgten etliche Ferngespräche nach Dublin, in denen meine Eltern versuchten, sie zur Rückkehr zu zwingen, aber Laura blieb standhaft. Madame schien es gleich zu sein, aber sie versicherte mir, dass es kein Problem wäre, wenn Laura noch bleiben wollte. Irgendetwas gäbe es für sie schon zu tun. Damit musste ich mich zufriedengeben. Laura nahm tränenreich von uns Abschied; voller Hoffnung klammerte sie sich an Oliver, doch ihn schien es völlig kaltzulassen.
Das Semester hatte schon begonnen, aber wir hatten wenig verpasst. Der graue Dubliner Herbst erschien schrecklich trostlos nach der lichtdurchfluteten Fülle Südfrankreichs. Ich versuchte, die traumatischen Ereignisse des Sommers hinter mir zu lassen und mich wieder auf mein Studentenleben zu konzentrieren. Schnell machte ich auf dem Campus all jene aus, die ich im Jahr zuvor noch aus Furcht gemieden hatte, und begann mir einen ganz neuen Freundeskreis zu erschließen. Hin und wieder traf ich mich zwar noch mit Oliver, aber wir hatten uns nur wenig zu sagen. Sowie ich auf unseren Sommer in Bordeaux zu sprechen kam, wechselte er schnell das Thema, und irgendwann beließ ich es dabei. Ich weiß nicht, ob es an meiner Sexualität lag, an meiner Beziehung zu Laura
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