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Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)

Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)

Titel: Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Nugent
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ließ.
    Nach einem Elternbesuch war man immer sehr beliebt, denn natürlich wurde erwartet, dass man seine Beute teilte. Von Oliver hieß es, er würde immer alles für sich behalten und nichts abgeben wollen, aber ich wusste es besser. Sein Vater hat ihm nie etwas mitgebracht. Nur einmal, da hatte er ein Psalmenbuch bekommen.
    Als am Ende meines zweiten Jahres die Sommerferien näherrückten, schlug meine Mutter vor, ich solle doch Oliver für ein paar Wochen zu uns auf den Hof einladen. Ich war von der Idee ehrlich gesagt nicht so begeistert. In der Schule zusammen rumzuhängen, mit Steinschleudern die Spatzen aus den Bäumen zu schießen und die Schulkrankenschwester heimlich bei ihrem Stelldichein mit Pater James zu beobachten war das eine. Aber Schule und zu Hause waren zwei verschiedene Welten. Und mein Zuhause war zudem noch eine sehr weibliche Welt, mit meiner verwitweten Mutter und den drei Mädels, wohingegen Oliver in der Schule ja praktisch unter Männern aufwuchs, wenn man von der zuvor erwähnten Krankenschwester und den auch sehr fidelen Putzfrauen mal absah. Ich weiß noch, dass ich mir ziemliche Sorgen gemacht hatte, wie er wohl mit meiner Familie zurechtkommen würde und sie mit ihm. Aber das hätte ich mir sparen können. Alle vier waren geradezu vernarrt in Oliver. Meine Mutter hätte ihn am liebsten gleich ganz adoptiert, und meine Schwestern fielen von einer Phase der Verliebtheit in die nächste. Sogar Una, die jüngste. Sie war neun und wollte andauernd was von ihm vorgelesen bekommen oder hat sich wie eine Klette an seinen Hals gehängt und sich huckepack über den Hof tragen lassen. Michelle, dreizehn, fing auf einmal an, sich für lauter Sachen zu interessieren, die auch Oliver interessierten. Jeden Tag verbrachte sie mehrere Stunden in der Küche, um sein Herz mit Selbstgebackenem zu erobern. Aoife, mit ihren sechzehn ein Jahr älter als wir, versuchte es mit der gegenteiligen Strategie. Sie tat so, als würde sie Oliver gar nicht bemerken, huschte aber immer nur halb bekleidet durchs Haus, wenn wir hereinkamen. Zudem entwickelte sie ein fast schon bedenkliches Talent dafür, sich ausgesprochen dekorativ auf jedes verfügbare Möbel zu drapieren. Oliver hielt sich wacker. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihm das alles ein bisschen unangenehm war, aber irgendwie dürfte es ihm auch geschmeichelt haben. Wahrscheinlich war es das erste Mal in seinem Leben, dass er auf so viele weibliche Wesen im selben Alter traf. Am Anfang war er schüchtern und übertrieben höflich, aber mit der Zeit begann er lockerer zu werden und gehörte schließlich fast zur Familie. Geplant war, dass er drei Wochen bei uns bleiben sollte. Sein Vater hatte angeblich zur Bedingung für den Besuch gemacht, dass Oliver auf dem Hof arbeiten und sich so seinen Unterhalt verdienen würde, aber das war kein Problem, weil wir im Sommer sowieso alle auf dem Hof halfen und es gar nicht anders kannten. Oliver lebte sich also schnell bei uns ein. Er schickte sogar seinem Vater eine Postkarte, was er noch nie zuvor getan hatte. Stolz berichtete er davon, wie gut es ihm bei uns gefalle und dass er jeden Tag hart arbeite. Zwei Tage später bekam meine Mutter einen Anruf von Mr Ryan und die ausdrückliche Anweisung, Oliver unverzüglich zurück nach St. Finian’s zu schicken. Eigentlich hätte Oliver noch eine gute Woche bei uns bleiben sollen, aber sein Vater hat nicht mit sich reden lassen und auch keine Gründe genannt, warum Oliver so plötzlich zurück musste. Ich weiß noch, dass meine Mutter sich fürchterlich aufgeregt hat deswegen. Ehe sie Oliver in den Zug nach Dublin setzte, hat sie ihm noch eine ganze Garnitur neuer Kleider gekauft. Oliver schien es mit Fassung zu tragen. Fast gleichmütig hat er sich von uns verabschiedet. Kein Zweifeln an der Entscheidung seines Vaters, kein Wort des Vorwurfs. Nicht einmal wütend schien er zu sein, aber ich weiß noch, dass er Tränen in den Augen hatte, als wir ihm vom Bahnsteig aus zuwinkten. Meine Schwestern warfen ihm Kusshände zu, und Mammy schien fast das Herz zu brechen.
    Wir sollten nie eine Erklärung für seine überstürzte Abreise bekommen. Meines Wissens hat er den Rest des Sommers im Internat verbracht. Meine Mutter ist immer der Ansicht gewesen, dass sein Vater aus bloßer Missgunst handelte. Die Postkarte habe deutlich gemacht, dass Oliver ausnahmsweise mal glücklich sei und eine schöne Zeit verlebe, was natürlich sofort unterbunden werden musste. Und eine andere

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