Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
Erklärung scheint es tatsächlich nicht zu geben, fürchte ich. Man mag wirklich kaum glauben, dass jemand sein eigen Fleisch und Blut so herzlos und grausam behandeln kann. Wer weiß, was da noch alles dahintersteckt. Die wahren Gründe werden wir wohl nie erfahren. Es sei denn, Oliver schreibt eines Tages seine Memoiren. Nur weiß ich nicht, ob man ihn jetzt überhaupt noch irgendwas veröffentlichen lässt.
Als wir mit der Schule fertig waren, ist Oliver aufs College gegangen, und ich bin auf unseren Hof zurückgekehrt. Ab und an haben wir uns in Dublin getroffen und sind einen trinken gegangen. Ich hatte gehört, dass er in Rathmines eine kleine Wohnung hätte und an den Abenden und den Wochenenden auf dem Markt arbeiten müsste, um die Miete zahlen zu können. Sein Vater glaubte wohl, seine Pflicht getan zu haben, und sah sich nach vollendeter Schulzeit nicht länger für ihn verantwortlich. Während der Sommermonate hatte Oliver oft Ferienjobs im Ausland, um für sein Studium aufzukommen. Mein Eindruck war, dass ihm das sogar guttat. Er ist richtig aufgeblüht in dieser Zeit und immer selbstbewusster geworden. Einmal war er mit ein paar Leuten vom College als Erntehelfer in Frankreich. Es muss da eine ziemliche Tragödie gegeben haben, ein großes Feuer, und später soll sich noch eine ehemalige Freundin von ihm umgebracht haben. Aber was genau da passiert ist, habe ich nie erfahren, weil wir uns zu dieser Zeit bereits etwas aus den Augen verloren hatten. Wir haben uns nur noch selten gesehen, und wenn, dann fand ich Oliver ziemlich zurückhaltend und distanziert.
Im Dezember 1982 erhielt ich eine Einladung zu Olivers Hochzeit; er würde Alice heiraten, die Illustratorin seines Buches. Ich freute mich für ihn, dass er sowohl ein nettes Mädchen als auch einen Verleger gefunden hatte. Allerdings lag meine Mutter zu der Zeit gerade im Krankenhaus, und ich konnte nicht kommen, was ich sehr schade fand. Ich hätte diesen Tag sehr gern mit ihm gefeiert.
Wenige Monate später bekam ich eine Einladung zur Präsentation seines ersten Buches. Am Anfang wusste ich gar nicht, was ich damit sollte, weil auf der Einladung als Autor »Vincent Dax« stand. Ich habe dann die Nummer des Verlags angerufen und so erfahren, dass es sich bei Vincent Dax um Oliver handelte.
Es waren gerade mal ein Dutzend Leute da, darunter Pater Daniel von unserer alten Schule, zwei oder drei von Olivers Studienfreunden, die ich flüchtig von früher kannte, sein Agent, die Leute vom Verlag und natürlich Alice, seine Frau. Sie war reizend, sehr herzlich und aufmerksam. Ich kann mich noch gut erinnern, dass sie, obwohl sie die Illustratorin des Buches war, darauf bestand, dass es Olivers Abend sei und sein Erfolg.
Oliver war mit den Nerven am Ende, und ich konnte mir auch schon denken, warum. Er hat auf seinen Vater gewartet. Zumindest daran schien sich seit Schultagen wenig geändert zu haben. Oliver war noch immer der ängstliche kleine Junge, immer darauf bedacht, beeindrucken zu wollen.Den ganzen Abend, während er Glückwünsche entgegennahm und Passagen aus seinem Buch vorlas, ist sein Blick wieder und wieder zur Tür geschweift. Irgendwann habe ich ihn dann einfach gefragt, ob sein Vater auch komme. Oliver hat mich auf eine Weise angeschaut, die keinen Zweifel daran ließ, dass mich das überhaupt nichts angehen würde. Wir haben dann kein Wort mehr darüber verloren. Später, als wir im Neary’s noch was trinken waren, hat er sich langsam beruhigt. Aber dann wollte ich wissen, warum er unter Pseudonym geschrieben hätte. Die Frage schien ihm unangenehm, er hatte auch keine richtige Antwort parat, weshalb ich annahm, dass sein Vater darauf bestanden hatte.
Danach habe ich Oliver nur noch ein paar Mal gesehen, aber mir fiel auf, dass er mit jedem Mal kühler und distanzierter wurde. Oft legte er eine Arroganz an den Tag, die ich dem Jungen, den ich von früher kannte, niemals zugetraut hätte. Später rief er mich nicht mehr zurück und reagierte erst gar nicht auf Einladungen.
Ab und an habe ich Oliver noch im Fernsehen gesehen oder ihn im Kulturprogramm gehört, aber dass wir uns persönlich gesprochen hätten, das ist jetzt Jahre her.
Als ich Sheila kennenlernte und wir unseren kleinen Charlie bekamen, habe ich ziemlich viel darüber nachgedacht, was einen guten Vater ausmacht. Mein eigener Vater hat sich für uns zu Tode geschuftet, und wirklich viel haben wir von ihm nicht gehabt. Sheilas Vater hatte eine Hausarztpraxis in
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