Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
an irgendeinen gottverlassenen Ort am anderen Ende der Welt rechnen könne. Nach sechs Monaten intensiver Gewissensprüfung schied er aus dem Priesterstand aus und nahm wieder seinen ursprünglichen Namen an. Zu dem Zeitpunkt waren wir bereits enge Freunde und Vertraute, und bald darauf wurden wir ein Paar. Vor Dermot hatte ich mir überhaupt nicht vorstellen können, nur mit einem einzigen Mann zusammen zu sein. Ich hatte angenommen, dass meine Beziehungen eine Vielzahl flüchtiger sexueller Begegnungen sein würden. Aber dann stellte ich zu meiner Überraschung fest, dass ich ihn aus tiefstem Herzen liebte und mir wünschte, dass er ein fester Bestandteil meines Lebens wurde. Dermot empfand glücklicherweise genauso, obwohl er verdammt lange gebraucht hat, um es sich einzugestehen.
Doch ich greife vor. Nachdem ich mich meinen Eltern im Herbst 1973 offenbart hatte, habe ich – und ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr, was mich da geritten hat – an Oliver geschrieben. In meinem Brief teilte ich ihm ganz offiziell mit, dass ich schwul war. Vielleicht wollte ich mich jemandem erklären, der mich noch von früher kannte, und mich gleichzeitig dafür entschuldigen, den vorigen Sommer auf Laura und ihn so eifersüchtig gewesen zu sein. Ich wollte ihm klarmachen, dass er Schwule nicht einfach »nicht leiden« konnte. Immerhin war ich ja schwul und sein Freund. Wahrscheinlich hätte ich den Brief besser nüchtern schreiben sollen. Oder gar nicht. Noch jetzt würde ich am liebsten vor Scham im Boden versinken, wenn ich nur daran denke. Binnen einer Woche erhielt ich eine Antwort. Ich weiß nicht, was genau ich erwartet oder erhofft hatte, aber er schrieb, dass er sich das vergangenen Sommer schon gedacht habe. Er würde mir alles Gute wünschen und hoffen, dass ich eines Tages den Richtigen fände. Damit schien alles gesagt. Einen eindeutigeren Schlussstrich hätte man wohl kaum ziehen können.
Ich muss die Nerven meiner Eltern zu dieser Zeit sehr strapaziert haben. Den nächsten Ärger gab es schon im Dezember, als ich nämlich verkündete, mein Studium abbrechen und ein Restaurant eröffnen zu wollen. Diesmal war Mum allerdings auf meiner Seite und überzeugte schließlich meinen Vater, mir das Startkapital vorzuschießen. Seit meiner Rückkehr aus Frankreich lebte ich praktisch in der Küche, und Mum war begeistert von meinen kulinarischen Entdeckungen. Einige Zutaten hatte ich selbst mit nach Hause gebracht, andere ließ ich mir von dem unvergesslichen Thierry schicken. Dad war von meinen Kochkünsten durchaus beeindruckt, fand aber, ich solle lieber mehr Zeit über meinen Büchern verbringen. Als ich dann allerdings für eine Dinnerparty, die meine Eltern für zwölf ihrer besten Freunde gaben, im Alleingang Speis und Trank auf den Tisch brachte, musste selbst mein Vater einräumen, dass ich über ein Talent verfügte, das eine Investition wert war. Zumal die Gäste bei jedem neuen Gang wieder ins Schwärmen gerieten.
All das lenkte uns erfolgreich davon ab, dass Laura angekündigt hatte, an Weihnachten nicht nach Hause zu kommen. Aus ihren in unregelmäßigen Abständen eintreffenden Briefen erfuhren wir, dass mit Hilfe von Spendengeldern der Ostflügel wieder aufgebaut werden sollte. Obwohl uns Lauras Beweggründe noch immer ein Rätsel waren, waren wir stolz auf ihren Gemeinsinn und schickten zu Weihnachten ein üppiges Fresspaket, dem mein Vater einen ebenso üppigen Scheck beilegte.
Ende März 1974 öffnete in einer schmalen Seitenstraße der Dubliner Altstadt mein Restaurant, das L’Étoile Bleue, seine Türen. Binnen eines einzigen Jahres hatte sich mein Leben von Grund auf verändert, und es hätte besser nicht sein können. Das Restaurant lief von Beginn an gut. Wie es aussah, würde ich meinem Vater das Startkapital in zwei Jahren zurückgezahlt haben, und alles war toll. Dann, im August desselben Jahres, kam Laura nach Hause.
Meine Eltern waren natürlich erleichtert über ihre Rückkehr, und ich brannte auf Neuigkeiten aus Clochamps, wollte wissen, wie das Bauprojekt auf Château d’Aigse vorankomme, wie es Madame Véronique gehe, ob sie Thierry gesehen habe und so weiter und so fort. Laura antwortete auf alle meine Fragen, wirkte aber irgendwie desinteressiert, als wäre sie in Gedanken anderswo. Sie sah schrecklich aus, mit dunklen Ringen unter den Augen und völlig abgemagert. Bei Tisch stocherte sie nur im Essen herum. Wir nahmen ihr verändertes Verhalten durchaus wahr, erkannten darin aber
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