Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)

Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)

Titel: Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Nugent
Vom Netzwerk:
nicht die Symptome eines akuten Nervenzusammenbruchs. Meine Mutter ging mit ihr zum Arzt, der ein übelriechendes Tonikum empfahl, das herzlich wenig Wirkung zeigte. Mein Vorschlag, sich mal bei Oliver zu melden, stieß auf taube Ohren. Ich verstand nicht, was mit Laura los war, aber ich machte mir Sorgen. Sie hatte ein Jahr mit dem Studium ausgesetzt, und es waren noch ein paar Wochen bis zum Beginn des neuen Semesters. Also bot ich ihr an, in der Zeit bei mir im Restaurant zu arbeiten. Ein paar Tage ging alles gut, dann tauchte sie auf einmal nicht mehr auf, und wir standen da, unterbesetzt und genervt. Sie sei erschöpft, sagte sie. »Erschöpft wovon ?«, lag es mir auf der Zunge. »Du machst doch überhaupt nichts!«
    Widerstrebend fragte ich Oliver, ob er nicht mal vorbeikommen und mit Laura reden könne. Pflichtschuldigst bot er an, sie zum Essen in mein Restaurant auszuführen oder worauf immer sie Lust habe, aber Laura wollte nicht. Oliver schrieb ihr sogar einen Brief, doch meine Schwester meinte, sie habe keine Lust, mit ihm zu reden. Ich begann mich zu fragen, ob hinter ihrer Trennung vielleicht mehr steckte als geahnt. Bislang hatte ich den Eindruck gehabt, Oliver hätte sich völlig korrekt verhalten, will sagen, er hatte sie während ihrer Beziehung nicht betrogen oder dergleichen. Doch wie es aussah, konnte Laura ihm nicht verzeihen, dass er mit ihr Schluss gemacht hatte. Bislang war Schlussmachen immer eine Spezialität meiner Schwester gewesen. Anscheinend kam sie nicht damit klar, wenn andere sich dasselbe Recht herausnahmen. Der Gedanke, dass Oliver auch der Grund für Lauras Depression sein könnte, wäre mir damals nie gekommen.

IX
    STANLEY
    Ich kann nur schwer glauben, was zurzeit alles über Oliver gesagt und geschrieben wird. Es stimmt wohl, dass ich ihn seit bald dreißig Jahren nicht mehr gesehen habe. Aber die Person, von der da in den Nachrichten berichtet wird, ist nicht der Junge, den ich kannte.
    Als Oliver diesen Riesenerfolg als Vincent Dax hatte, habe ich mich richtig für ihn gefreut, dass sein Leben so eine gute Wendung genommen hat. Soweit ich mich erinnern kann, hatte er selbst für irische Verhältnisse eine ziemlich bescheidene Kindheit. Und ich weiß, wovon ich rede, denn ein paar Jahre war ich Teil seiner Welt. Es heißt, Kinder würden ihre eigene Wirklichkeit stets für die Normalität halten, weshalb Oliver sich seiner Vernachlässigung vermutlich gar nicht so bewusst war. Aber schon damals war es ein offenes Geheimnis, dass es ihm an allem fehlte.
    Ich war vierzehn, als ich aufs Internat kam, nach St. Finian’s im Süden von Dublin. Im Jahr zuvor war mein Vater gestorben, und ich lebte zusammen mit meiner Mutter und meinen drei Schwestern draußen auf dem Land, in Kilkenny. Ich glaube, Mammy wollte einfach, dass ich regelmäßig zur Schule ging und nicht ganz ohne männlichen Einfluss aufwuchs. Natürlich packte ich mit vierzehn schon auf dem Hof mit an, aber Mammy wollte nicht, dass mir dasselbe Schicksal blühte wie meinem Vater. Er könnte noch leben, meinte sie, wenn er sich nicht von früh bis spät zu Tode geschuftet hätte. Ein weiterer Grund, mich aufs Internat zu schicken, war diese fast schon krankhafte Schüchternheit. Mein Gesicht wird von einem Feuermal über dem linken Auge verunstaltet, für das ich mich Zeit meines Lebens geschämt habe. Wahrscheinlich hatte meine Mutter Angst, mich nie aus dem Haus zu bekommen, wenn ich nicht schon in jungen Jahren vom Hof runterkäme. Damals wusste ich das wenig zu schätzen. Heute ist mir klar, dass sie recht hatte.
    St. Finian’s war nach damaligem Ermessen keine schlechte Schule. Ich wüsste nicht, dass es jemals Berichte über sexuellen Missbrauch oder dergleichen gegeben hätte. Die Priester waren alles in allem auch recht nachsichtig. Natürlich gab es den üblichen Sadisten, dem es Spaß zu machen schien, uns nach Strich und Faden zu demütigen. Damals, in den Sechzigern, dürfte es aber eine ziemlich gute Quote gewesen sein, nur einen Einzigen von dieser Sorte an der Schule gehabt zu haben.
    Als ich zu Oliver in die Klasse kam, war er schon das achte Jahr in St. Finian’s. Heutzutage kaum noch vorstellbar – allein bei dem Gedanken, meinen Kleinen mit gerade mal sechs Jahren von zu Hause wegzuschicken, wird mir ganz anders – , aber zu dieser Zeit war das längst nicht so unüblich. Oliver war sehr still und fiel vor allem durch seine schäbige Kleidung auf. Deswegen, und weil seine Haut etwas dunkler war

Weitere Kostenlose Bücher