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Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)

Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)

Titel: Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Nugent
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Trubel auszublenden, den Jubel und das Gelächter. Später kam Stanley mit einem Kuchen, den seine Mutter extra für mich gebacken hatte. Eine unerklärliche Ausgelassenheit überkam mich, und ich lieferte mir eine Tortenschlacht mit ihm, pflückte den Kuchen auseinander und warf händeweise Marmelade und Biskuit auf ihn, auf die Wände, die Lampen, die Porträts einstiger Rektoren. Wir lachten, bis wir Seitenstechen hatten, aber unsere Fröhlichkeit war grundverschieden. Meine grenzte an Hysterie.
    Stanley war mir damals ein Freund, ein richtiger Freund. Spätestens in der Mittelstufe hatte ich begriffen, dass ich anders war als meine Mitschüler. Während es bei ihnen um Ferienpläne ging, um Besuche bei Verwandten, Streit mit den Geschwistern, um Weihnachtsgeschenke und politische Diskussionen am Abendbrottisch, hatte ich zu diesen Gesprächen nichts beizutragen. Auch dass es mir ganz offensichtlich an Geld mangelte, unterschied mich von den anderen. Meine Schuluniformen kamen aus dem Fundus von St. Finian’s, und Geld für Kioskbesuche hatte ich keins. Es gab eine stille Übereinkunft, dass Pater Daniel für all meine Bedürfnisse aufkäme. Ich weiß nicht, ob es auf Veranlassung meines Vaters geschah oder einfach nur ein Akt der Nächstenliebe von Pater Daniel war. Ich fürchte Letzteres. Aber ein Teenager braucht nicht nur vernünftige Dinge, und ich konnte den Pater schlecht um Stinkbomben, Steinschleudern oder Kaugummi bitten. Von Schmuddelmagazinen ganz zu schweigen.
    Stanley teilte all das mit mir. Er war es auch, der mir überhaupt einen Einblick in familiäres Leben verschaffte, als er mich einmal für die Ferien zu sich nach Hause einlud, auf seine Farm in Kilkenny. Zum allerersten Mal war ich von Frauen umgeben. Stanleys Mutter war verwitwet, und er hatte drei Schwestern. Diese Schwestern versetzten mich in Angst und Schrecken. Ich war mitten in der Pubertät und wusste den Ansturm meiner Hormone kaum zu beherrschen. Groß und kräftig für mein Alter, bereitete die Arbeit auf dem Hof mir keine Mühe, doch wenn die Familie sich abends zum Essen zusammenfand, zehrte das Plappern, Lärmen und Gelächter der Mädchen an meiner Substanz. Ich kam mir vor, als hätte man mich im Zoo aus Versehen in einen Käfig exotischer Tiere gesperrt.
    Alle waren unglaublich nett und großzügig zu mir, und heute weiß ich, dass die Mädchen einfach nur mit mir flirten wollten. Ich hätte mich damals einfach über die ungeteilte Aufmerksamkeit freuen sollen, aber immer hatte ich das Gefühl, all das nicht verdient zu haben. Ich fürchtete, dass sie jeden Augenblick merken könnten, was für ein Schwindler ich war, ein Junge, der einer Mutter nicht wert war, der unmöglich einer Familie angehören konnte und keinen Platz in ihrer Mitte hatte. Mich verfolgte die Vorstellung, dass all diese Frauen sich wie eine fremde Spezies plötzlich gegen mich wenden könnten. Mich angreifen, mich töten, mich auffressen. Katzen kann ich aus genau demselben Grund nicht leiden.
    Stanleys Mutter meinte, mich ständig umsorgen zu müssen. Sie wollte wissen, was ich am liebsten äße, und hier musste ich mir eine Blöße geben, kannte mein unkultivierter Gaumen Mahlzeiten doch nur in der immer gleichen Folge der Wochentage: montags Kohl mit Speck, dienstags Würstchen mit Kartoffelbrei und so fort. Selbstgebackenes Brot mit echter Butter darauf, frisches Fleisch und Gemüse an Tagen, die nicht dafür vorgesehen waren, irritierten mich zutiefst. In der Schule gab es freitags immer Fisch, und den mochte ich am liebsten. »Was für Fisch?«, wollte sie wissen, und das konnte ich ihr natürlich nicht sagen, nur dass er weiß war, flach und dreieckig und meist um die zehn Zentimeter lang. Mrs Connolly lachte, aber ich merkte, wie traurig sie das fand und dass ich ihr leidtat. Von da an machte sie es sich zur Aufgabe, meine Geschmacksknospen zu wecken, was, so nett und gut gemeint es auch war, mein Unbehagen indes nur verstärkte. Ich wusste, was sich gehörte, und aß alles, was auf den Tisch kam, aber da mein Magen solche Fülle nicht gewohnt war, hielten Bauchkrämpfe mich oft bis in die frühen Morgenstunden wach. In einer jener Nächte fasste ich den Entschluss, sowie ich erwachsen war, ein echter Gourmet zu werden, damit ich nie wieder in solche Verlegenheit käme.
    Mir war das Ausmaß meines Mangels nicht bewusst, aber ich spürte, dass sie im Grunde ein armes Heimkind in mir sahen. Jemand, der Mitleid hervorrief, vielleicht auch

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