Die Suendenburg
es nicht. Die Nachfolge steht mir und meinem Gemahl zu.«
»Jeder Rechtsgelehrte würde Euren Anspruch mit Wohlwollen prüfen, so auch der Vikar in mir. Das ist jedoch nicht die Frage, mit der ich mich hier zu beschäftigen habe. Ich behandele ausschließlich den Tod Eures Vaters, nicht die Nachfolgefrage.«
»Doch Ihr könnt mir eine Einschätzung meiner Lage geben.«
»Gerne. Das Reich ist geschwächt, die Ungarneinfälle in Sachsen, Thüringen, Baiern und Schwaben haben Volk und Land schwer mitgenommen, die militärische Lage ist bedrohlich, die finanzielle Lage ist misslich, die Ordnung löst sich auf, und was die Krone angeht, so wurde sie elf Jahre lang von einem schwächlichen Kind getragen, dem in Konrad I. erst kürzlich ein reifer Mann folgte. Die Krone hat in diesen elf Jahren an Macht zugunsten der Herzöge verloren, unter anderem das alleinige Recht, die Grafen zu ernennen. Dieses Recht ist nun umstritten, und wie immer, wenn etwas umstritten ist, wird es uneinheitlich und willfährig. Es hat in den letzten Jahren eine Reihe von Machtergreifungen gegeben, gegen die der frühere König, Ludwig das Kind, nicht fähig war, vorzugehen, und gegen die der Herzog nicht willens war, vorzugehen. Herzog Burchard wird sich so lange nicht einmischen, wie er keinen Nachteil in Aistulf als Graf sieht. Das ist der Sachverhalt, und ihn zu leugnen wäre töricht.«
»Baldur ist ein entschiedener Streiter gegen die Ungarn, er hat an jedem Feldzug teilgenommen, zu dem der Herzog aufgerufen hat. Seine Ergebenheit und sein Mut stehen außer Zweifel.«
»Dafür ist Aistulf nach allem, was ich höre, ein erfahrener Landverweser, und er ist außerdem äußerst beliebt bei den Leuten. Herzöge schätzen es, wenn ihre Grenzregion von einer Bevölkerung bewohnt wird, die sich nicht nach einem anderen Herrn sehnt. Ihr seht, es ist nicht so einfach. Zudem …«
»Warum zögert Ihr?«
»Eigentlich steht es mir nicht zu.«
»Sprecht freiheraus. Ich wüsste keine Verletzung, die Ihr mir zufügen könntet.«
»Es geht um die Nachfolge der jetzigen Nachfolge.«
»Um Kinder geht es. Ich habe keine«, sagte ich mit einer Deutlichkeit, als wolle ich diese Botschaft hinter mich bringen. »Trotz sechsjähriger Ehe bin ich kinderlos. Aber ich bin jung.«
Ich sah Malvin an, dass er das, was er sagte, nicht gerne sagte: »Ich kann meine Einschätzung Eurer Möglichkeiten, Gräfin zu werden, nur auf der Grundlage der Gegenwart treffen. Eure Mutter hat zwei Kindern das Leben geschenkt, und nun ist sie erneut guter Hoffnung. Sie hat beeidet, dass das noch ungeborene Kind von Agapet abstammt. Sollte es ein Sohn werden, gehen Eure Ansprüche vermutlich verloren. Aber selbst wenn es eine Tochter wird … Solange Ihr selbst ohne Söhne seid, halten sich Eure Ansprüche mit denen Eurer Mutter die Waage.«
Nun war ich doch ein wenig verletzt, und Malvin sah es mir an.
»Ich hätte diese Angelegenheit nicht ansprechen sollen.«
»Ihr habt nur getan, worum ich bat, und gesagt, was der Wahrheit entspricht.«
»Ja, aber …«
»Kein Aber. Es ist, wie es ist, und damit muss ich zurechtkommen.«
»Ich bin ein Esel.«
»Wenn überhaupt, dann ein überaus mitfühlender und freundlicher.«
»Oh, vielen Dank.«
»So habe ich das nicht gemeint.«
»Ich weiß. Selbstredend«, sagte er wie zum Trost, »ist alles, worüber ich soeben sprach, unter den Vorbehalt gestellt, was bei der Untersuchung des Mordes herauskommt. Falls ein Familienmitglied etwas mit dem Tod des Grafen zu tun hatte, beispielsweise Euer Stiefvater …«
»Gott, wie ich dieses Wort hasse.«
»… so würfe das ein völlig anderes Licht auf die Frage der Nachfolge.«
»Würde man Aistulf hinrichten?«
»Wollt Ihr das denn?«
»Wenn er den Mord begangen hat – ja. Es gibt keine andere Sühne für ein solches Verbrechen.«
»Da irrt Ihr Euch. Es kommt darauf an, ob ein Bußverfahren oder ein Racheverfahren eingeleitet wird.«
Er sah mir an, dass ich nicht verstand, worüber er sprach.
»Das Bußverfahren«, erklärte er, »stammt aus alter Zeit. Die Familie des Opfers handelt etwas mit der Familie des Täters aus: eine hohe Geldzahlung etwa oder die Blendung des Täters, oder der Täter begibt sich für den Rest seines Lebens in die Leibeigenschaft der Hinterbliebenen des Opfers. Sind sowohl Opfer als auch Täter Mitglied einer Familie, obliegt der Richtspruch ganz der Familie. Zu Hinrichtungen kommt es bei solchen Verfahren nur sehr selten, meistens dann, wenn die
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