Die Sündenheilerin (German Edition)
still. Immer wenn Lena zu ihm hinübersah, waren seine Blicke auf sie gerichtet, und seine Seelenflamme leuchtete so hell und rein, dass ihr ganz warm ums Herz wurde. Sie hatte gedacht, Martin zu lieben, aber plötzlich wusste sie, dass ihre Gefühle für Martin gar nichts gewesen waren. Nichts im Vergleich zu dem Empfinden, das Philips Gegenwart in ihr auslöste. Ob es ihm wohl genauso erging? Oder war es nur Dankbarkeit, weil sie ihm zugehört und Trost gespendet hatte?
Als die Tafel aufgehoben wurde, nutzte Lena die Gelegenheit, Philip die Studierstube ihres Vaters zu zeigen. Tante Margarita plauschte noch immer mit alten Bekannten, und Said hielt sich weiterhin taktvoll im Hintergrund.
Lothar hatte nicht gelogen, Vaters Zimmer war noch immer so, wie sie es in Erinnerung hatte. Ein Wand voller kostbarer Bücher, ein seltener Schatz für einen Ritter. Die Federn und Tintenfässchen auf dem Schreibpult waren geordnet, als könnte er jederzeit zur Tür hereinkommen und wieder seinen Studien nachgehen.
Das Einzige, was neu hinzugekommen war, war der Rüstungsständer in der hintersten Ecke. Wie eine stumme Mahnung an Vaters einstige Gegenwart hingen Kettenhemd, Waffenrock, Helm und Schwertgurt über dem Holzgerüst, das früher in der Waffenkammer gestanden hatte. Lange war es her, dass ihr Vater die Rüstung getragen hatte. In den letzten Jahren war er um die Leibesmitte herum stärker geworden und hätte sich wohl nicht mehr hineinzwängen können.
Philip war ihr nachgegangen.
»Die Rüstung ist noch immer gut gepflegt«, sagte er, während er vorsichtig über das geölte Kettenhemd strich. »Dein Vater hat sie gewiss mit Ruhm belegt.«
»Vielleicht in jungen Jahren, aber er war nie ein großer Turnierstreiter. Seine Liebe gehörte den Büchern. Die Rüstung legte er an, weil er der einzige Sohn seines Vaters war und das Familienerbe weitertragen musste. Mit seinem Tod ist unsere Linie erloschen.«
»Sie ist nicht erloschen. Du bist noch am Leben.«
»Aber niemand wird mehr unter dem Wappen des springenden Hirsches reiten.«
»Mein Vater erzählte mir, manche Ritter nähmen das Wappen ihres Weibes in ihr eigenes auf, wenn es keinen männlichen Erben mehr gibt.«
»Vielleicht wenn es sich um eine vornehme Familie handelt, deren Wappen den eigenen Ruhm mehrt. Doch dazu sind wir zu unbedeutend.« Lena seufzte. »Es ist auch nicht so wichtig. Das wahre Vermächtnis meines Vaters liegt in diesen Büchern. Kein Ritter dieser Gegend hat jemals einen größeren Wissensschatz um sich versammelt. Die meisten können nicht einmal lesen.«
»Darf ich sie mir ansehen?«
Lena nickte.
Vorsichtig zog Philip eines der Bücher aus dem Regal. Einen schönen alten Band, eingeschlagen in reich verziertes Rindsleder und bebildert mit reichhaltigen Buchmalereien.
»Die Legende von Parzival. Ich habe sie bislang nie als Niederschrift gesehen, ich hörte davon immer nur in den Erzählungen reisender Barden.«
»Mein Vater hat uns oft daraus vorgelesen«, sagte Lena. »Er mochte Parzival, der trotz all seiner Fehler vom Unwissenden zum Gralskönig aufstieg. Mir gefiel Ritter Gawan allerdings besser.«
Philip lächelte. »Der strahlende Held, der seine Stärke aus dem Minnedienst zog und stets in den Farben der von ihm verehrten Dame kämpfte?«
Lena nickte. »Ja, denn ohne die Minne war er nichts, er brauchte immer eine Frau, für die er edle Taten vollbringen konnte.«
»Und genau deshalb habe auch ich immer Gawan den Vorzug vor Parzival gegeben.« Er schaute ihr tief in die Augen, ganz so, als wäre sie die Einzige, die er jemals angesehen hatte. Lena senkte die Lider.
»Ich hoffe, du hältst mich nicht für leichtfertig, Philip.«
»Ich bin nie einer Frau begegnet, die so tiefsinnig und feinfühlig ist wie du, Lena. Ich …«
»Lena! Es wird Zeit!« Tante Margarita stürmte wie ein Wirbelwind in das Studierzimmer. »Wir müssen uns auf den Weg machen, wenn wir vor Anbruch der Dunkelheit zurück auf Burg Schlanstedt sein wollen. Said hat schon die Pferde satteln lassen.«
Sie trat dicht hinter Philip.
»Ah, Ihr lest den Parzival. Eine wunderbare Geschichte, nicht wahr? Hach, ich freue mich so auf das Turnier! Wenn sich rotes Blut mit heißem Männerschweiß vermischt …«
Philip starrte die Nonne mit großen Augen an. Lena verbiss sich ein Schmunzeln. Ihre Tante konnte noch immer jeden Mann in Verlegenheit bringen, ohne es zu merken.
16. Kapitel
D u hast sie die ganze Zeit angestrahlt, als wäre sie ein
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