Die Sündenheilerin (German Edition)
Gast des Grafen von Birkenfeld.«
Der Alte nickte geistesabwesend und wandte sich wieder seinen Regalen zu. Einen Augenblick lang zögerte Philip noch, dann verließ er die Hütte.
»Das ist nicht dein Ernst!« Selten hatte Philip Said so aufgebracht erlebt. Beschwichtigend hob er die Hände.
»Denk doch einmal nach. Das ist die Gelegenheit, etwas Licht ins Dunkel zu bringen.«
»Welches Dunkel?« Saids Gesicht war gerötet, doch erkannte Philip darin nicht nur Zorn, sondern auch Sorge. »Du erzählst mir, wie du dich der rothaarigen Mörderin mit Müh und Not entwunden hast, und jetzt willst du freiwillig in ihre Arme zurückkehren? Welcher Grund könnte so gewichtig sein? Dein Hunger nach einem Mädchen wohl kaum, da würdest du unter den Mägden hier viel schneller fündig.«
»Glaubst du, ich hätte nur Tändelei im Sinn? Vertrau mir einfach.«
»Vertrauen«, schnaufte Said. »Ist dir schon einmal in den Sinn gekommen, dass Vertrauen ein gegenseitiges Geschäft ist?«
»Du weißt, dass ich niemandem mehr vertraue als dir, Said.«
»Und trotzdem erzählst du mir nicht alles.«
Philip atmete tief durch und legte dem Araber beide Hände auf die Schultern.
»Kennst du das Gefühl, wenn du einer Aussage gegenübergestellt wirst, die du nicht glauben willst? Ja, die so unfassbar ist, dass du sie am liebsten austilgen möchtest, es aber nicht vermagst? Weil dich tief in deinem Innern eine Stimme beschwört, an ihre Wahrheit zu glauben? Und dir zugleich den Mund verschließt, um es nicht auszusprechen und dadurch erst Wirklichkeit werden zu lassen? Said, du erinnerst dich an den sterbenden Räuber?«
»Du warst bleicher als der Tod«, flüsterte Said. »Was hat er dir an jenem Tag verraten?«
Philip schüttelte leicht den Kopf. »Ich will erst wissen, ob es wahr ist. Und das kann ich nur von ihr erfahren.«
»Sie ist ein Satansweib. Glaubst du, ihr ist zu trauen? Sie könnte dich genauso gut belügen.«
»Ich werde es erkennen, wenn es so weit ist. Lässt du die Sache bis dahin auf sich beruhen?«
Said legte seine Hände auf Philips Schultern und nickte.
Während der Araber sein Mittagsgebet verrichtete, durchstreifte Philip die Burg. Insgeheim beneidete er seinen Freund um dessen festen Glauben, auch wenn es nicht der seine war. Er selbst war manchmal voller Wut, weil Gott sein Flehen in der Stunde seiner größten Not nicht erhört hatte. Und voller Zweifel, ob dies die gerechte Strafe für seinen Stolz war.
Er blieb auf den Stufen stehen, die zum Wohnturm führten, betrachtete das Leben vor sich, die Mägde, die zwischen Küche und Brunnenhaus hin und her eilten. Dabei fing er den einen oder anderen begehrlichen Augenaufschlag ein. Er musste lächeln. Said hatte recht. Wenn er wollte, würde er hier recht schnell willfährige Gesellschaft finden. Obwohl ihm der Sinn zurzeit nicht danach stand, genoss er dennoch die Aufmerksamkeit der holden Weiblichkeit.
Aus den Augenwinkeln gewahrte er einen blauen Schatten, der sich auf den Turmstufen von oben herab näherte. Das Bild der letzten Nacht erschien vor seinem inneren Auge, die schöne junge Frau, deren blondes Haar keck unter dem Umhang hervorgeblitzt war. Ihr überlegener Gesichtsausdruck, als sie seine Hand am Dolch entdeckt hatte. Diesmal trug sie wieder die dunkelblaue Suckenie. Etwas zu schlicht für seinen Geschmack. Auch das strenge Gebände passte nicht so recht zu den Reizen, die er in der vergangenen Nacht hatte erahnen dürfen. Warum verbarg sie ihre Schönheit nur? Es hätte genügend schickliche Kleidung gegeben, die ihr Glanz verliehen hätte. Oder war es ein Ausdruck von Trauer? Alle nannten sie Frau Helena. War sie jung verwitwet?
Ihre Stimme schreckte ihn aus seinen Überlegungen.
»Hättet Ihr die Güte, mich vorbeizulassen?«
Er trat einen Schritt zur Seite. »Mir scheint, es wird zur Gewohnheit, dass ich Euch im Wege stehe.«
»Dann solltet Ihr diese lästige Unart schnellstens ablegen.«
»Ich werde mich bemühen, Frau Helena.« Er lächelte sie an, doch ihre Miene blieb ernst. Ihre Züge wirkten müde und zugleich verbittert. Hatte sie während der ganzen Nacht bei der Gräfin ausgeharrt? An welch grausamer Krankheit litt die Burgherrin überhaupt? Gern hätte er länger mit der jungen Frau geplaudert, doch sie ging an ihm vorüber, ohne ihn eines weiteren Wortes zu würdigen. Seine Blicke folgten ihr auf ihrem Weg über den Hof bis zum Küchenhaus. Alles hier kam ihm auf einmal seltsam vor, und noch ehe er wusste, was er
Weitere Kostenlose Bücher