Die Sündenheilerin (German Edition)
die Rede tropft ihm wie süßer Honig von den Lippen, niemand kann sich ihr entziehen. Nur glaube ich nicht, dass Gott ihm diese Gabe verliehen hat.« Die junge Nonne bekreuzigte sich.
Lenas Mund wurde trocken. Ludovika sprach ihre geheimsten Ängste aus, doch tat sie es offen und ohne jedes Schamgefühl. In Lenas Elternhaus wäre das nicht vorgekommen. Ihr Vater hätte ihr verboten, nur auf Vermutungen hin ein Urteil zu fällen. Worte seien Waffen, hatte er sie einst gelehrt, die, einmal losgelassen, mehr Unheil als scharfe Schwerter bringen könnten. Ein Schwert könne man senken, doch die Verleumdung hinterlasse immer einen Stachel, ob man widerrufe oder nicht. Wie ein vergifteter Pfeil.
»Du hältst ihn für gottlos?«
»Nicht nur das. Ich halte ihn auch für gefährlich. Ist es nicht seltsam, dass er täglich in aller Frühe davonreitet und erst abends zurückkehrt? Ich glaube kaum, dass er sich in diesen Stunden frommen Werken widmet. In der Kapelle habe ich ihn jedenfalls noch nie gesehen.«
»Vielleicht sollten wir ihn fragen, ehe wir uns falschen Vermutungen hingeben.«
»Und du glaubst, er wird uns die Wahrheit sagen?« Ludovika schnaufte verächtlich. »Wahrscheinlich tischt er uns ein rührendes Märchen auf.«
»Was hat er getan, deinen Zorn so sehr herauszufordern?« Warum hatte sie plötzlich das Bedürfnis, den Ägypter zu verteidigen, obwohl sie ihm doch selbst misstraute? Vermutlich weil ihr Vater es getan hätte. Wie sehr sie ihn doch vermisste! Und wie gern hätte sie gewusst, was er von den beiden Fremden gehalten hätte.
»Er ist nicht besser als der Heide, vielleicht sogar schlimmer, denn er spielt uns etwas vor. Ich wüsste zu gern, wo er sich tagsüber herumtreibt. Und vor allem, mit wem. Für einen Fremden, der die Gegend kaum kennt, ist er allzu häufig unterwegs, findest du nicht?«
Lena zuckte zusammen. Genau das hatte sie auch gedacht. Vielleicht war doch etwas an Ludovikas Verdächtigungen. Doch sie schwieg. Sie wollte keine vergifteten Pfeile mit ihrer Freundin teilen.
»Du bist blass, Lena. Ist dir nicht gut?«
Erleichtert fing sie Ludovikas besorgten Blick auf. Ein guter Vorwand, sich zurückzuziehen, ehe ihr Worte entschlüpften, die sie später bedauern würde.
Auch an diesem Tag blieb Lena der Gräfin fern. Zu sehr kämpfte sie mit ihren eigenen Erinnerungen. Sie wollte nicht wie ein waidwundes Reh vor Elise treten und sich von ihr wie von einer böse lächelnden Jägerin den Gnadenstoß versetzen lassen.
Man ließ sie in Ruhe, doch am frühen Nachmittag klopfte es zaghaft an ihrer Tür. Vermutlich Ludovika. Rasch ordnete sie ihr Gebände und öffnete die Tür.
»Entschuldigt die Störung, Frau Helena.« Vor ihr stand Graf Dietmar.
Heißes Blut schoss ihr ins Gesicht. Wollte er selbst nach dem Rechten sehen, weil sie ihrer Aufgabe nicht nachkam? Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
»Herr Ewald teilte mir mit, dass Ihr Euch nicht wohl befindet, und da hielt ich es für meine Pflicht, selbst nach Euch zu sehen.«
Ihre Hände wurden feucht. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sollte sie ihn in ihre Kammer bitten oder ihm nur kurz für seine Sorge danken und ihn fortschicken? Aber er war der Hausherr. Durfte sie ihn so einfach an der Tür abweisen? Und wollte sie das überhaupt?
»Ich …« Wie er sie ansah … so vertraut und fremd zugleich.
»Es geht mir schon besser, danke.« Sie strich ihr Kleid glatt und rieb sich dabei die Hände trocken. Er tat zwei Schritte nach vorn, sie mehrere zurück. Das schien er als Aufforderung zu sehen, ganz einzutreten, doch folgte er ihr nur langsam, als sei er selbst unsicher. Sie wich weiter zurück, bis sie das Fenstersims im Rücken spürte. Er blieb in der Mitte des Raumes stehen, die Tür war noch immer geöffnet.
»Verzeiht mein Eindringen, doch mir scheint, Ihr habt Sorgen. Manchmal hilft es, sie zu teilen.«
Ihr Atem ging rascher. Was sollte sie bloß sagen? »Ich hörte, Eurem Weib geht es besser.« Immerhin brachte sie die Worte ohne Stocken hervor.
»Sie war bei Tisch, doch was sie bot, war nur ein kleiner Abglanz ihres früheren Wesens.«
»Wie war ihr früheres Wesen?« Noch ein Satz, der ihr flüssig über die Lippen kam. Ihr klopfendes Herz beruhigte sich langsam.
Zögernd trat er neben sie. Sein Blick schweifte hinaus über das Bodetal. »Seht Ihr den Fluss unter uns, Frau Helena?«
Sie nickte.
»So war sie. Lebendig, ein bisschen wild, so wie die Stromschnelle da vorn, aber geradlinig und verlässlich. Wie das
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