Die Sündenheilerin (German Edition)
Eisenerzminen. Er suchte mich häufig auf. Auch als sich schon eine Schwangerschaft ankündigte. Mein Gatte ließ ihn anfangs gewähren, doch nachdem ich schwanger war, wurde er immer ungehaltener, wollte Martin nicht mehr auf der Burg sehen. Der Zuchthengst hatte seine Aufgabe erfüllt. Dietmar hoffte, Martin werde sich nach seiner Hochzeit um sein Weib kümmern und nicht mehr an mich denken.«
»Und Ihr?«, presste Lena mühsam hervor. »Was erhofftet Ihr Euch?«
Elise schlüpfte wieder aus ihren Schuhen und ließ die bloßen Füße im Gras ruhen. »Zunächst glaubte ich, meine Wünsche hätten sich mit der Geburt des Kindes erfüllt. Doch noch ehe Rudolf geboren wurde, starb Martin. Und ich begriff, was ich wirklich ersehne. Einen Mann, der ein wirklicher Mann ist. Einer, der mich lieben kann, wie Martin es tat.« Auf einmal wirkte ihr Gesicht ganz verändert. Zum ersten Mal entdeckte Lena echte Traurigkeit in Elises Augen. Nicht die niedergestimmte Härte, auch nicht die tiefe Gleichgültigkeit oder die Bosheit, nicht das alberne Kichern. Nein, wahre, aufrichtige Trauer.
»Hätte er doch darauf verzichtet«, murmelte Elise. »Mich niemals die Sterne schauen lassen, damit sie dann für immer verlöschen. Ich habe Dietmar geliebt, ich war glücklich. Nie habe ich ihn als unvollkommen erlebt. Bis er mich dazu zwang, seine Unvollkommenheit in den Armen eines anderen zu erleben! Nur weil er ein Kind wollte.«
»Ein Kind, das Ihr Euch nicht wünschtet?«
Elise schluckte. »So ist es nicht. Ich wünschte ihn mir so sehr, meinen Sohn. Aber wenn ich ihn jetzt sehe, dann sehe ich nur Martin, und der Schmerz zerreißt mich.« Eine einzelne Träne rollte ihr über die Wange. Eine einzelne, kein Meer von Tränen, und doch berührte sie Lena tiefer als alles andere. Plötzlich brannten ihre eigenen Augen, mühsam versuchte sie, die aufsteigenden Tränen fortzublinzeln. Ich werde nicht gemeinsam mit dir um meinen Gatten weinen, dachte sie trotzig und versuchte, hart zu bleiben.
Es war geschehen, Martin hatte gefehlt, hatte eine andere ihr vorgezogen, aus welchen Gründen auch immer. Am schlimmsten aber war die Ungewissheit, wie er sich nach der Hochzeit entschieden hätte. Hätte er Elise vergessen, oder wäre sie dazu verdammt gewesen, sich stets mit einer Nebenbuhlerin messen zu müssen? Wie wenig hatte sie Martin doch gekannt. Wäre sie wirklich glücklich mit ihm geworden? Zum ersten Mal mischte sich Bitterkeit in die Erinnerung an Martin. Hatte sie ihn jemals geliebt, oder war es nur das Bild, das sie von ihm hatte? Auch das würde sie nie erfahren. Der rotbärtige Teufel hatte ihr viel mehr als ihre Familie genommen. Sein Schwert hatte nicht nur ihre Brust durchbohrt, sondern auch ihre Seele.
Der Abend brachte neue Überraschungen. Es begann damit, dass zum ersten Mal seit Lenas Ankunft alle Gäste und die Burgherrin gemeinsam an der Tafel saßen. Elise lachte und war so fröhlich wie schon während des Vormittags im Blumengarten. Eine völlig andere Frau. Herr Ewald lächelte Lena wohlwollend zu, und auch Ludovika strahlte ihre Freundin an. Ein Hauch von Genugtuung zeigte sich in der Miene der jungen Nonne. Sie hatte es ja immer gesagt, Lena werde der Gräfin Frieden schenken. Dennoch konnte Lena sich eines unguten Gefühls nicht erwehren. Elises Fröhlichkeit war echt, doch kam sie nicht aus der Quelle, aus der Gott die Freude schenkte. Noch immer fühlte Lena sich an einen Betrunkenen erinnert, der närrisch lacht und herumalbert, ohne jeden Sinn und Verstand. Ob sie Elise unrecht tat? Täuschte ihr Gefühl sie? Ihr Blick streifte Graf Dietmar. Die nächste Überraschung. Die Schärfe war aus seinen Zügen geschwunden, während er mit Philip sprach. Hätte sie es nicht besser gewusst, wäre der Eindruck entstanden, die beiden seien beste Freunde. Was war geschehen? Wie hatte der Ägypter das Misstrauen des Grafen zu zerstreuen vermocht?
Während alle anderen Scherzworte austauschten und sogar Ludovika aus vollstem Herzen lachte, fing Lena Saids Blick auf. Er war ebenso verwirrt wie sie. Zwei Ausgeschlossene, die nicht mehr begriffen, was ringsum geschah. Nun, vielleicht gehörte auch der Kaplan dazu, aber der schenkte seine Aufmerksamkeit lieber dem marinierten Geflügel als seinen Tischgenossen.
»Mögt Ihr uns mit einer weiteren Geschichte unterhalten, Herr Philip?« Graf Dietmars Frage riss Lena aus ihren Betrachtungen.
Der Angesprochene nickte lächelnd.
Nur sein Mund lächelt, nicht seine Augen, dachte
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