Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)
Richtung des klaffenden Lochs unter der Garage gezogen. Mein rechter Arm verschwand bereits in der Dunkelheit. Der Geruch von nasser Erde, altem Gras, Benzindämpfen und irgendetwas anderem, etwas Faulem, das nach einer Million gasiger Fürze stank, die seit 1000 Jahren in diesem Loch gefangen waren, schlug mir ins Gesicht.
Dann hörte ich irgendwo in der Finsternis ein Geräusch – ein tiefes Zischen, so als durchschneide irgendetwas die Luft, immer und immer wieder.
Es erinnerte mich auf entsetzliche Weise an die surrenden Klingen eines Rasenmähers.
Oder an einen Drachen, der mit den Zähnen knirschte.
Ich versuchte mich dagegen zu wehren, in das Loch hinuntergerissen zu werden, indem ich mich mit meiner freien Hand am Boden der Garage festkrallte. Aber die Kraft, die an mir zerrte, war einfach zu stark.
Ich ließ los, bevor mein linker Arm abgerissen wurde.
Mein Arm tauchte in die Dunkelheit ein und ich tastete panisch meine Umgebung ab, verzweifelt auf der Suche nach irgendetwas, an dem ich mich festhalten konnte.
Ich berührte etwas Schleimiges, riss meinen Arm zurück und bemerkte zunächst gar nicht, dass ich etwas in der Hand hielt.
Voller Entsetzen starrte ich auf das Souvenir, das ich der tintenschwarzen Tiefe entrissen hatte: Meine winzige Hand umklammerte die Collingwood-Magpies-Kappe.
»Daaaa-dddeee!«, brüllte ich ein letztes Mal, bevor mein Spielzeugrasenmäher endgültig in der Finsternis verschwand, dicht gefolgt von meinem Kopf.
Der verrottete Gestank aus faulen Eiern und Benzin wurde immer beißender und die Dunkelheit war nun so tief und dicht wie der Nachthimmel über einer Wüste. Das Surren erklang lauter und lauter und ich spürte, wie der Wind mein Gesicht peitschte.
Ich hörte, wie Dreck auf Metall prasselte – wie Regen auf das Dach der Garage – und wie Steine zerstückelt und in Tausende winziger Kiesel verwandelt wurden.
Dann sagte eine Stimme, uralt und kalt und voller Dreck und Kies: »Ich hab dir doch gesagt, dass du aufpassen sollst. Ich hab dir gesagt, dass du deine Hände nicht zwischen die Klingen stecken sollst. Der Rasenmäher ist kein Spielzeug, das weißt du doch.«
»Wir haben dich vermisst«, sagte eine andere Stimme, die höher klang, kichernd. »Und du dachtest, du wärst zu alt, um noch mit uns zu spielen. Aber wir haben dich reingelegt. Du bist immer noch ein Kind. Du wirst schon sehen, du wirst niemals zu alt sein, um mit uns zu spielen …«
Ich hielt noch immer die Mütze umklammert und kickte mit meinen Beinen ziellos in die Luft, während ich völlig in der Dunkelheit versank.
Und dort haben sie tatsächlich mit mir gespielt.
»Hey Kumpel, willst du mir helfen …?«
Darrin Thornton runzelte die Stirn, als er das Zimmer seines Sohnes leer vorfand. Normalerweise verbrachte Ben an den Wochenenden den ganzen Tag in seinem Zimmer, las in seinen PC-Zeitschriften, schaute sich DVDs an oder surfte im Netz.
»Ich frag mich, wo er steckt«, murmelte Darrin. Er verließ das Zimmer seines Sohnes und ging in die Küche, wo seine Frau gerade damit beschäftigt war, die Einkäufe aus grünen, umweltfreundlichen Tüten zu befreien.
»Im Auto sind noch mehr Tüten«, sagte sie in ihrer typisch verspielten, beinahe mädchenhaften Stimme.
»Ben ist nicht in seinem Zimmer«, sagte Darrin. »Ich wollte ihn fragen, ob er mir heute beim Mähen helfen will.«
Seine Frau hielt inne, eine Packung mit Nudeln in der Hand. »Ich glaube, ich kann ihn draußen hören. Wahrscheinlich spielt er.«
»Er ist zu alt, um zu spielen«, schnaubte Darrin.
»Ist er nicht«, erwiderte seine Frau, während sie die Nudeln verstaute. »Er ist erst 13. Er ist doch noch ein Baby.«
»In deinen Augen mag er vielleicht noch ein Baby sein, aber er wird allmählich erwachsen, Jayne. Unser Baby wird bald ein junger Mann sein. Und ich möchte, dass unser junger Mann mir beim Mähen hilft. Ich weiß, dass er mir schon helfen wollte, als er noch ganz klein war.«
Als Darrin zur Hintertür ging und aus irgendeiner Ecke des Gartens die unverwechselbaren Geräusche eines Jungen zu ihm drangen, der irgendwo an diesem seltsamen, unheimlichen Ort zwischen Kindheit und Erwachsensein gefangen war, sagte seine Frau: »Sorg einfach dafür, dass er vorsichtig ist. Ich will nicht, dass er durch einen herumfliegenden Ast ein Auge verliert.«
Darrin nickte, rückte seine Magpies-Mütze zurecht, öffnete die Hintertür und ging in den Garten hinaus, um seinen Sohn zu suchen.
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