Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)
leerer, abwesender Ausdruck tritt auf Kates Gesicht. »Wenn ich zurückdenke, dann lag da etwas in seinen Augen, das mir Angst gemacht hat. In jenen Momenten des Wahnsinns, wenn er tobend über das Schiff trampelte und behauptete, man habe ihm sein Eigentum gestohlen, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als möglichst weit von ihm weg zu sein. Trotzdem fällt es mir nach wie vor schwer zu glauben, dass Albert auch diese Verbrechen in Whitechapel begangen haben soll. Ich weiß natürlich, dass die Zeitungen das behaupten, aber ich kann es mir einfach nicht vorstellen.«
Auch ein weiterer Passagier der Kaiser Wilhelm II hat Schwierigkeiten, sich mit dem Gedanken anzufreunden, bei Deeming könnte es sich um den berüchtigten Whitechapel-Mörder handeln. »Ich kannte sowohl Mr. als auch Mrs. Williams sehr gut«, erzählt uns der Getreidehändler Sydney Oakes aus Alphalton. »Ich habe mich während der Reise mit dem Dampfschiff nach Melbourne recht gut mit den beiden angefreundet. Es stimmt schon, Albert konnte sich hin und wieder ein wenig seltsam benehmen, aber Emily gegenüber verhielt er sich immer sehr liebevoll. Ich habe zwischen den beiden nur Liebe gesehen, daher mag ich mich auch nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass Albert Emily auf so grauenhafte Weise getötet hat. Außerdem hatte der Mann nicht das Geringste an sich, das mich davon überzeugen könnte, dass er auch diese Gräueltaten in Whitechapel vor vier Jahren begangen hat. Er hat sich zwar mit Morden gebrüstet, aber dabei ging es stets um Schwarze. Und außerdem sprach er mit diesem ausgeprägten Lancashire-Akzent und hatte so ungeheuer viel Charme – nein, ich kann mir beim besten Willen nicht ausmalen, wie Albert durch die Straßen im Londoner East End streift und leichte Mädchen abschlachtet.«
Als wir ihn fragen, warum Deeming seiner Ansicht nach seine Frau ermordet hat, beginnt Oakes zu stottern und nervös über seinen Schnurrbart zu streichen. »Das muss ein Unfall gewesen sein«, antwortet er schließlich. »Wahrscheinlich haben sie sich gestritten und Deeming hat dabei aus Versehen seine Frau geschlagen und getötet. Ich bin mir sicher, dass es keine Absicht war. Ich schätze, er ist in Panik geraten, und weil er nicht geschnappt werden wollte, hat er sie unter der Kaminplatte vergraben.«
Hatte Mr. Oakes sich im Januar nicht noch mit Deeming getroffen, nur rund eine Woche, nachdem dieser seine Frau umgebracht hatte? »Das ist richtig. Wir haben uns auf einen Drink im Baths Hotel in der Bourke Street getroffen.« Ich frage Oakes, in welcher Verfassung er Deeming bei ihrem Treffen vorfand. »Er schien ganz der Alte zu sein – charmant, gut gelaunt und stets prahlerisch. Er verärgerte einige der anderen Gäste in der Bar mit seinen auffälligen Reden und Gesten. Ich dachte schon, es würde zu einer Schlägerei kommen.«
Hält er es nicht für merkwürdig, dass sich ein Mann, der nur eine Woche zuvor seine Frau brutal ermordet hat, so schamlos gut gelaunt zeigt? »Möglicherweise war das einfach seine Art, mit der ganzen Sache fertig zu werden. Aber vielleicht verspürte er auch wirklich keine Reue. Das ist schwer zu sagen. Ich habe ihn danach nie wiedergesehen. Als ich das nächste Mal von Albert Williams hörte, hieß es, sein richtiger Name laute Frederick Deeming und er stehe im Verdacht, seine Frau Emily ermordet zu haben. Ich muss zugeben, dass mich das wirklich schockiert hat. Ich habe noch immer Schwierigkeiten, diesen Mann mit den schrecklichen Taten in Verbindung zu bringen. Und ich kann noch immer nicht glauben, dass die Leiche, die ich im Leichenschauhaus gesehen habe, wirklich Emily gewesen sein soll. Sie sah überhaupt nicht menschlich aus, geschweige denn wie jene Dame, die ich als so freundliche, liebenswerte Person kennengelernt hatte.« In diesem Moment erhebt sich Mr. Oakes von seinem Küchentisch und schenkt sich ein Glas Gin ein. »Arme Emily«, murmelt er.
Arme Emily, fürwahr. Die 26-jährige junge Frau aus Rainhill hatte keine Ahnung von der Vergangenheit ihres Mannes und wusste auch nicht, was er für sie geplant hatte. Denn Fred Deeming hatte ihren Mord ganz offensichtlich geplant. Es war weder ein Unfall noch eine Gewalttat im Affekt, durch die sie im Beton unter der Kaminplatte ihres Schlafzimmers endete – mit zertrümmertem Schädel und durchgeschnittener Kehle.
Nur zwei Tage nach seiner Ankunft in der zweitgrößten Stadt der britischen Kolonie suchte Deeming einen Eisenwarenhändler auf und kaufte
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