Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)
Mrs. Snell scherzhaft. Das sei der Journalist in mir.
Es gibt also zwei Delikte, die den berüchtigten, vier Jahre zurückliegenden Whitechapel-Morden sehr ähneln, sowohl hinsichtlich des Datums und der Uhrzeit als auch des Modus Operandi. Haben wir es mit einem Nachahmungstäter oder mit dem Geist von Mad Fred Deeming zu tun?
»Definitiv mit einem Nachahmungstäter«, versichert mir Constable Adam Neil. »Ich habe den Tod schon oft genug gesehen, um zu wissen, dass ein Mensch hinter den brutalen Taten in Little Lon steckt, kein verdammter Geist. Und seien Sie versichert, dass wir alles, was in unserer Macht steht, tun werden, um diesen Wahnsinnigen zu fassen, bevor er wieder tötet. Ich meine, bei Gott, wer immer dieser Kerl auch ist, er ahmt die Ripper-Morde nicht sonderlich gut nach – er hat schließlich mit dem dritten Opfer angefangen. Was sagt Ihnen das?«
Vielleicht hat Jack die ersten beiden Frauen damals ja gar nicht getötet, schlage ich Constable Neil als Erklärung vor. Ich bin schon seit Langem der Ansicht, dass der Ripper nur für fünf der Morde verantwortlich zeichnet, nicht für alle neun, die dem Verbrecher von Whitechapel in der Regel zugeschrieben werden. Nichols wäre demnach das erste, Kelly das letzte Opfer gewesen. Und wenn diese Annahme zutrifft, würde das dann nicht auch bedeuten, dass der Nachahmungstäter tatsächlich eine Menge über die Ripper-Morde weiß? Und würde es andererseits nicht auch die These unterstützen, dass die Morde doch vom Geist des Rippers begangen wurden – vom Geist von Fred Deeming?
»Ha!«, entfährt es Constable Neil und tiefe Falten graben sich in seine junge Stirn. »Das ist wirklich ein starkes Stück, das muss ich schon sagen. Der Ripper hat neun Frauen umgebracht und Geister gibt es nicht. Und der Irre, der diese Prostituierten aufgeschlitzt hat, wer immer er auch sein mag, ist deshalb einfach nur ein Narr, der seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. Wir werden ihn ganz sicher schnappen, da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.«
War Deeming nun also Jack the Ripper?
Wir wissen, dass Deeming zu einem Mord in der Lage war, sogar zu besonders gewalttätigen und kaltblütigen Taten. Aus diesem Grund hat es auch nicht lange gedauert, bis Zeitungen in aller Welt eine Verbindung zwischen Deeming und Jack the Ripper herstellten. Immerhin ist er Brite und hat seine beiden Frauen und seine drei Kinder getötet, indem er ihnen die Kehle aufschlitzte. Er gab außerdem zu, in der Zeit, zu der sich die Morde ereigneten, mehrere Messer in Whitechapel gekauft zu haben. Eine Londoner Schneiderin identifizierte Deeming darüber hinaus als den Mann, mit dem sie in der Nacht des Doppelmordes in Whitechapel als auch am Morgen danach zusammen gewesen war. Er hatte ihr gegenüber ein auffallend detailliertes Wissen über die Eddowes-Morde an den Tag gelegt. Allem Anschein nach suchte er sie also nicht nur am 30. September auf, sondern auch am darauffolgenden Morgen. Obwohl Deeming sich der Dame als Mr. Lawson vorstellte, identifizierte die Schneiderin den Mann, der bei ihr gewesen war und ihr mit seinen Berichten über die Verstümmelungen entsetzliche Angst eingejagt hatte, als Fred Deeming, als man ihr ein Foto von ihm zeigte. Es ist außerdem interessant zu wissen, dass Deemings Vater mehrfach versuchte, sich das Leben zu nehmen, indem er sich seine Kehle mit einem Messer aufschnitt.
»Er hasste seinen Vater zutiefst«, berichtet Dr. Shields, ein Arzt im Gefängnis von Melbourne. »Frederick wurde von seinem Leumund verprügelt, als er noch ein Kind war. Diese heftigen Prügel müssen bleibende Schäden bei dem Jungen hinterlassen haben, sowohl körperliche als auch seelische. Er klammerte sich an seine Mutter, zu der er eine sehr enge Beziehung hatte. Sie war Lehrerin in der Sonntagsschule und bläute ihm ihre Ansichten über Sünde und Strafe ein. Er hat mir erzählt, wie sehr er seine Mutter geliebt hat und wie verzweifelt er war, als sie ’75 starb. Frederick war damals Anfang 20. So stark die Zuneigung zu seiner Mutter jedoch war, der Hass auf seinen Vater war ungleich stärker. Wenn ich ihm im Gefängnis begegnete, kam er mir abgestumpft und launisch vor. Er sagte mir, er denke oft über seine Vergangenheit nach und stelle sich vor, seine Mutter sei noch am Leben. Er hat mir anvertraut, dass er oft mit ihr spricht, jede Nacht um zwei Uhr, und dass sie ihm verschiedene Dinge aufträgt. Sie habe ihm auch gesagt, er solle seine beiden Ehefrauen und seine
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