Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)
noch nicht gehört?«
Clayton schüttelte den Kopf.
»Die kleine Rose Hawkins wurde letzte Nacht ermordet.«
In Claytons Kopf drehte sich alles. »Ermordet? Rose?«
»Das hab ich doch grade gesagt. Sie wurde abgeschlachtet. Im Schlaf. Die Bullen glauben, dass es ein Serienkiller war. Du weißt schon, der Typ, der diese ganzen Frauen in ihren Wohnungen abgemurkst hat, während sie geschlafen haben.«
»Das glauben sie?«
Der alte Mann grinste und zeigte seine krummen, gelben Zähne. »Nee, eigentlich nicht. Aber ich glaube das. Und ich wette, ich habe recht.«
Clayton beobachtete das Geschehen wie durch einen Schleier: die umhereilenden Polizisten, die Aussagen aufnahmen und nach Spuren suchten. Es war alles so surreal.
»Ich wette, die Bullen werden auch mit dir reden wollen«, sagte Herbert.
»Hä?«
Clayton verfiel in Panik. Glaubten sie etwa, er habe es getan? Hatte ihn letzte Nacht doch jemand gesehen?
»Die Bullen. Die werden mit dir reden wollen. Ich meine, Scheiße, du wohnst doch direkt unter dem armen Mädchen.« Herbert beugte sich ganz dicht zu ihm heran. Er roch nach Schweiß und Kaffee. »Hast du denn letzte Nacht irgendwas gehört?«
Clayton schüttelte den Kopf und entspannte sich ein wenig. »Nein. Nur ihre Schritte.«
»Während sie auf Hal gewartet hat?«
Clayton nickte.
»Er hat sie gefunden. Furchtbar, zu Hause so was vorzufinden, was?«
»Ich hab gehört, wie sie mit ihm gesprochen hat«, fuhr Clayton fort, während seine Gedanken abschweiften und er an die letzte Nacht zurückdachte.
»Scheint so, als sei der Mörder in ihre Wohnung eingebrochen. Das muss gewesen sein, nachdem sie mit Hal gesprochen hat, aber bevor er nach Hause kam. Ich schätze, der Kerl muss sie beobachtet haben oder so. Ich meine, wie hätte er denn sonst wissen sollen, wann er einbrechen muss, um sie allein zu erwischen?«
»Dann bin ich eingeschlafen«, sagte Clayton und seine Stimme klang abwesend.
»Also eigentlich hättest du den Krach hören müssen, nachdem Hal heimkam. Mein Gott, das ganze Haus war voller Bullen und Sanitäter. Hast du davon gar nichts mitbekommen?«
»Nein.«
Herbert stieß einen Pfiff aus. »Junge, du hast echt einen tiefen Schlaf.«
»Na ja, ich war in letzter Zeit ziemlich müde. Wissen sie schon, wer’s gewesen ist?«
»Das sind die Bullen. Was glaubst du wohl?« Herbert lachte. »Im Moment ist Hal ihr Hauptverdächtiger. Aber nicht, weil sie eindeutige Beweise hätten. Die übliche Routine eben. Sie reden schon den ganzen Vormittag mit allen hier im Haus, aber bisher haben sie noch keine Hinweise gefunden. Abgesehen von dem, den der Mörder hinterlassen hat. Scheiße, sie haben überhaupt nur einen Hinweis, weil der Mörder unvorsichtig war.«
»Was hat er denn hinterlassen?«
»Also, laut Mrs. Dally in Nummer 616 haben sie irgendeine Halskette gefunden. So ein altes Ding aus Glas. Hal behauptet, es gehöre weder ihm noch Rose. Deshalb denken sie, dass es der Mörder dagelassen hat. Natürlich geben die Bullen das nicht zu. Es hat einen Kampf gegeben, weißt du? Anscheinend hat Rose sich gewehrt wie …« Herbert unterbrach sich, als ein Polizist zu ihnen kam.
»Wer sind Sie?«
Es dauerte einen Moment, bevor Clayton klar wurde, dass der Polizist mit ihm sprach. »Clayton Patterson.«
»Wohnen Sie in diesem Apartment?«
Clayton nickte.
»Dann muss ich Ihnen ein paar Fragen stellen«, sagte der Polizist und klappte seinen Notizblock auf. Er warf Herbert einen Blick zu. »Würden Sie uns bitte entschuldigen, Sir?«
»Natürlich, Officer.« Herbert schlurfte davon und sein Morgenmantel flatterte hinter ihm her.
»Gut, mein Sohn. Wie war noch mal Ihr Name?«
»Ich komme zu spät zu meinem Vorstellungsgespräch«, sagte Clayton.
Der Polizist schnaubte und verzog einen Mundwinkel. »Das werden Sie ausfallen lassen müssen, mein Junge.«
Clayton ließ seine Aktentasche fallen. Sie prallte mit einem dumpfen Schlag auf den Boden und ihre Leere spiegelte seine eigenen Gefühle wider. »Ich wollte den Job sowieso nicht.«
Der Polizist nickte. »Ihren vollständigen Namen, bitte.«
Clayton sah auf seinen Wecker: 0:50 Uhr.
Er wartete. Als die Schritte ausblieben, stieß er einen Seufzer aus.
Nicht dass er sie erwartet hatte.
Trotzdem fehlte ihm jetzt etwas. Es war zu still. Es schien, als habe er sich bereits an das allnächtliche Ritual gewöhnt.
Er blickte zum Fenster des alten Lagers hinüber, beobachtete den Strahl des Mondlichts, der eine helle Linie in sein
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