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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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eine Pieta dachte, die eben diesen Schmerz verkörpern würde? Aber solange ihm dazu noch der geeignete Auftraggeber fehlte, war es sicherlich klüger, den Mund zu halten.
    »Dann ist es gut, dass deine Madonna so schön ist«, sagte Gemma. »Denn die Menschen werden sie nicht nur anbeten, sondern zudem lieben, und auch uns beiden erweist du damit einen großen Gefallen. Denn so wird mich niemand je in ihr wiedererkennen.«
    »Aber es ist dein Gesicht«, widersprach er, »bis in die allerkleinste Einzelheit!«
    »Ich glaube, du hast du mich noch nie genau angesehen.« Mit einem verlegenen Lächeln schielte Gemma nach den Eiern. »Ist das alles für mich? Ich bin nämlich so hungrig, dass ich fast schon über einen Heuballen herfallen könnte.«
    »Bedien dich! Und wenn du noch mehr willst, musst du es nur sagen.«
    Es gefiel ihm, wie ruhig und konzentriert sie aß und dass sie anschließend sogar noch den Teller mit einem Stück Brot sauber wischte. Danach trank sie ihren Becher aus und ließ sich mit einem zufriedenen Seufzer tiefer in den Stuhl sinken.
    »Und jetzt nur noch schlafen!«, sagte Gemma. »Dann bin ich sicher wieder wie neugeboren.«
    Er nahm ihre Hand, zog sie hoch. »Das Bett wartet schon auf dich«, sagte er. »Komm!«
    »Du weißt aber, dass ich nicht bleiben kann?«
    Da war er wieder, der ängstliche Ausdruck, der sein Herz so rührte.
    »Ich weiß. Leg dich hin, Gemma! Ich werde deinen Schlummer wie ein Erzengel bewachen.«
    Kaum hatte ihr Gesicht das Kissen berührt, atmete sie schon tief und gleichmäßig wie ein erschöpftes Kind. Matteo blieb eine ganze Weile neben ihr sitzen und sog den lang entbehrten Anblick in sich auf. Schließlich erhob er sich, ging zu seiner Truhe und nahm behutsam Tarnschicht um Tarnschicht heraus.
    Als Gemma erwachte, war es dunkel geworden und der ganze Fußboden mit seinen verbotenen Zeichnungen bedeckt.
    »Was ist das?«, fragte sie, noch immer schlaftrunken. »Und wozu hast du all diese Kerzen angezündet?«
    »Schau selber!«, sagte Matteo. »Dann wirst du vieles verstehen.«
    Sie ließ sich auf die Knie sinken, rutschte von einer Zeichnung zur anderen. Es wunderte ihn nicht, dass sie zu weinen begann, kaum war sie bei der Hälfte angelangt, aber sie schonte sich nicht und setzte ihre Runde bis zur letzten Zeichnung fort, obwohl er sehen konnte, wie schwer es ihr fiel.
    »Du hast ihn heimlich aufgeschnitten und dann alles Stück für Stück abgezeichnet?«, fragte sie und wischte die Tränen weg. »Wie mutig von dir, wo es doch strengstens verboten ist! Aber warum hast du das getan?«
    »Ich musste«, sagte Matteo. »Deine Worte über den schwarzen Mann und sein geheimnisvolles Erscheinen in jener Nacht haben mir einfach keine Ruhe gelassen. Die beiden Kinder, die du hier abgebildet siehst, waren zum Zeitpunkt ihres Todes ungefähr gleich alt. Ich dachte also, wenn ich die alten und die neuen Zeichnungen sorgfältig miteinander vergleiche, erhalte ich womöglich einen Hinweis, woran Mauro gestorben sein könnte.« Er starrte auf seine farbverschmierten Hände. »Ich hab ihn natürlich zuvor um Vergebung gebeten, dass ich seine Totenruhe stören musste. Und ich hoffe aus ganzem Herzen, der Kleine hat mir verziehen.«
    »Aber wie konntest du überhaupt …«
    »Es gibt da jemanden im Hospital, der mir dabei geholfen hat«, sagte er schnell. »Frag bitte nicht weiter, Gemma! Besser, du weißt so wenig wie möglich darüber.«
    Jetzt hielt sie eine der alten Zeichnungen in der Hand.
    »Und der andere?«, fragte sie. »Wer ist das?«
    »Giuseppe, mein Sohn. Der Würgeengel der Kinder hat ihn uns genommen, da war er kaum älter als vier. Ein schreckliches Unglück, das meine Frau in den Wahnsinn getrieben hat. Fiona hat sich aus Verzweiflung umgebracht, und als man sie vom Balken schnitt, hab ich ihr im Namen der allerheiligsten Jungfrau gelobt, alles zu versuchen, um Giuseppes Tod auf die Schliche zu kommen. Doch leider ist es mir nicht gelungen, damals ebenso wenig wie jetzt bei dem armen kleinen Mauro.«
    Sollte er ihr von seinen Beobachtungen am Magengewebe erzählen? Aber das waren nichts als vage Mutmaßungen. Etwas wirklich Aussagekräftiges hatte er zu seinem Bedauern nicht zu bieten.
    Gemma hörte, wie er schwer schluckte.
    »Ich hab es vor allem für dich versucht«, fuhr Matteo fort. »Damit deine Seele Ruhe findet.«
    »Sie sehen so schön aus«, flüsterte sie. »So unschuldig. Als würden sie nur schlafen.«
    »Und auch ihre inneren Organe sind

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