Die Sünderin von Siena
wunderschön, denn der Mensch ist ein vollendetes Kunstwerk, Gemma, ein Kunstwerk, das aus Gottes Hand stammt.«
Sie legte ihre Hand auf seine, schaute ihn innig an.
»Das werde ich dir nie vergessen«, sagte sie. »Du hast dein Leben riskiert, Matteo. Wenn sie dich dabei erwischt hätten …« Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Ich darf gar nicht daran denken!«
»Das musst du auch nicht, denn keine Menschenseele hat mich dort gesehen. Und womöglich nimmt ja die ganze Angelegenheit ohnehin eine andere, eine bessere Wendung.« Matteo verbannte energisch jeden Gedanken an Celestina und an sein leidiges Versprechen. In Kürze berichtete er Gemma, was Mamma Lina ihm über ihre neuerliche Vorladung erzählt hatte. »Ich denke, damit könnte dein Arrest aufgehoben werden. Dann musst du nicht mehr zu ihm zurück.«
» Dorthin würde ich ohnehin nie mehr gehen – nicht, solange noch ein letzter Funken Leben in mir ist!«, rief Gemma heftig. »Und Mamma Lina will das tun?« Jetzt klang sie erstaunt. »Um mich zu entlasten? Das hat sie gesagt? Aber werden sie ihr denn auch glauben?«
»Diese junge Frau trägt ein großes Geheimnis mit sich«, sagte Matteo. »Wie eine Riesenlast liegt es auf ihrer Seele, das kann ich spüren. Sie kämpft für sich. Und für ihre Kinder. Ob sie ihr im Hospital glauben werden? Wir müssen wohl abwarten. Aber ich denke, deine Freundin ist stark und kann durchaus überzeugend auftreten.«
»Ich hab solche Sehnsucht nach ihnen!«, sagte Gemma. »Die Kleinen fehlen mir – jedes auf seine ganz spezielle Art. Aber am allermeisten vermisse ich Lelio, mein kleines, kluges Schlitzohr, der immer das letzte Wort behalten möchte.«
»So sehr, dass du es nicht einmal bis zum Morgengrauen ohne ihn aushalten kannst?« In Matteos Gesicht mischten sich Hoffen und Bangen.
Gemma beugte sich vor, küsste ihn und genoss, wie leidenschaftlich und zärtlich zugleich er ihren Kuss erwiderte.
»Diese Nacht gehört uns«, sagte sie und freute sich über das immer noch ungläubige Strahlen, das seine Züge mit einem Mal erhellte. »Nur dir und mir.«
Matteo faltete die Zeichnungen zusammen und legte sie wieder zuunterst in die Truhe. Als er die Stofflappen zur Tarnung darüber schichtete, sorgsam, als handle es sich um das kostbarste Material, liebte Gemma ihn so sehr, dass es beinahe wehtat.
Sie streckte die Arme nach ihm aus, fühlte wohlig, wie er sie voller Begehren umfing, und atmete seinen unverwechselbaren Geruch ein, nach dem sie sich so sehr gesehnt hatte. Sie ließ nicht zu, dass er noch einmal aufstand, um die letzte Kerze zu löschen.
»Lass uns erst schlafen, wenn sie heruntergebrannt ist!«, sagte sie. »Versprochen?«
Jetzt war es Matteo, der sich an sie drückte und sie mit Armen und Beinen umschlang, als wolle er sie niemals wieder loslassen.
❦
»›Dieses Kind ist ein Idiot‹- das haben sie zunächst über meine süße Cata gesagt. Aber wir beide haben es ihnen gezeigt – nicht wahr, kleiner Liebling? – und uns von ihnen nicht unterkriegen lassen.«
Cata drückte sich enger an Mamma Lina und barg ihren struppigen Kopf in ihrem Schoß. Nichts und niemand schien sie dazu bewegen zu können, sich wieder aus dieser sicheren Lage zu lösen, nicht einmal Gemmas Hand, die sie ihr beruhigend auf den Rücken gelegt hatte.
»Der Schrecken sitzt ihr noch tief in den Knochen.« Linas Stimme war voller Anteilnahme. Aber noch etwas anderes schwang darin – eine Art grimmiger Stolz, sich vor den männlichen Widersachern in Barnas Uffizium behauptet zu haben. »Und welch unnötige Angst sie ihr eingejagt haben, der Richter und dieser dicke, aufgeblasene Domherr! Immer wieder sollte sie ihren Satz wiederholen, so lange, bis ihr Gesichtchen schon ganz weiß vor Anstrengung geworden war. Als schließlich zu allem auch noch der Apotheker und sein Gehilfe aufgetaucht sind, hat sie fürchterlich zu weinen begonnen und war kaum wieder zu beruhigen.«
Alles war beinahe, als sei Gemma niemals fort gewesen. Die Kinder hatten sich wie jeden Tag um den großen Tisch versammelt, auf dem sich in zwei Tonschüsseln nun nur noch die kümmerlichen Reste des Hühnerragouts befanden, das sie heißhungrig verschlungen hatten. Lelio wich nicht mehr von Gemmas Seite, so glücklich schien er, sie endlich wiederzuhaben; Raffi schnitt eine Grimasse nach der anderen, und sogar die scheue Mia, von der man sonst kaum ein Wort zu hören bekam, suchte ihre Nähe. Einzig Angelina schien ganz mit sich selber
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