Die Sünderin von Siena
ließ ihn verstummen. Nardo Barna, die enge schwarze Kappe auf dem schmalen Schädel, näherte sich langsam. Schließlich blieb er vor dem Fresko stehen und betrachtete es eingehend.
»Ihr seid noch nicht fertig, Messer Minucci.« Der Vorwurf war unüberhörbar. »Darf ich erfahren, was zu dieser neuerlichen Verzögerung geführt hat?«
»Wir hatten ungewöhnlich viel am Putz zu arbeiten. Die Wand war uneben und der Untergrund …«
»Eure Mörtelgeschichten langweilen mich zu Tode«, unterbrach ihn Barna. »Die Wahrheit, Minucci! Meint Ihr nicht, Ihr seid sie mir schuldig?«
Matteo fühlte, wie seine Kehle eng wurde. Da war etwas in dem Blick des Rektors, das ihm ganz und gar nicht gefiel, etwas Kaltes, Angriffslustiges. Barna schien auf Streit aus zu sein, Streit, den er sich in seiner jetzigen Lage weniger denn je leisten konnte.
Lag es an den Szenen aus dem Leben der Muttergottes, mit denen er die Ecken gefüllt hatte? Die Themen waren entgegen seinen ersten Vorstellungen nun doch durchaus traditionell ausgefallen: Maria im Tempel, Verlobung mit Joseph, Verkündigung des Engels, schließlich die Begegnung mit Elisabeth. Daran gab es nichts zu bekritteln. Vielleicht aber an seiner Interpretation?
Denn auf allen vier Bildern trug die himmlische Jungfrau Gemmas Züge. So oft er sie inzwischen auch übermalt hatte, nach jedem Durchgang waren sie der Frau seiner Träume nur noch ähnlicher geworden.
»Ich hatte zunächst gewisse Mühe mit der Ausarbeitung der Motive«, begann er vorsichtig. »Es galt, eine Art der Balance zu finden zwischen dem, was ich ausdrücken wollte, und dem, was Ihr von mir erwartet. Solche heiklen Prozesse lassen sich, wie Ihr sicherlich versteht, nicht beliebig beschleunigen.«
»Und habt Ihr sie schließlich noch gefunden, Eure Balance?« Barnas Stimme klang kühl. »Nicht nur in der Kunst, sondern auch im Leben?«
Worauf wollte der Rektor hinaus? Matteo überlegte fieberhaft, fand aber keine schlüssige Antwort.
»Gefällt Euch denn, was Ihr hier seht?«, fragte er stattdessen mutig zurück.
»Was das Fresko angeht – im Prinzip, ja. Ein paar Kleinigkeiten, über die können wir noch sprechen. Was jedoch den Mann betrifft, der es geschaffen hat …«
Barnas schmale Lippen schienen zu verschwinden, so fest presste er sie zusammen. Jetzt fixierte er Nevio, der sich unter dem strengen Blick sichtlich unbehaglich fühlte.
»Jeder, der sich den heiligsten Themen nähert, sollte dies notwendigerweise mit einem reinen Lebenswandel verbinden, meint Ihr nicht auch? Denn anderenfalls bestünde Gefahr, die Flecken auf der Seele könnten nach und nach auch die Kunst besudeln.«
»Ich hab mir nichts vorzuwerfen«, sagte Matteo trotzig und ärgerte sich im gleichen Augenblick, dass er sich überhaupt rechtfertigte. »Falls Ihr darauf hinauswollt.«
»Ach nein?« Barnas wasserhelle Augen schienen den Maler regelrecht durchbohren zu wollen. Dann glitt sein Blick erneut zu Nevio. »Seid Ihr Euch da ganz sicher?«
Was wollte er von dem Jungen? Und dann, schlagartig, fiel Matteo die einzig mögliche Antwort ein: Ornela musste geredet haben. Ornela, die ihn über das grüne Hurenband ausgequetscht hatte, für das ihm auf die Schnelle keine plausible Ausrede eingefallen war. Ornela, die ihre eigenen Rückschlüsse gezogen und offenbar nichts Besseres zu tun gehabt hatte, als mit dem Seidenband zum Rektor zu laufen und ihn dort anzuschwärzen. Vielleicht aus der Befürchtung, sein in ihren Augen unmoralisches Verhalten könne auf den Jungen abfärben. Vielleicht aber hatte sich alles auch ganz anders zugetragen: Sie hatten die Frau beauftragt, ihn auszuspionieren und über jeden seiner Schritte ausführlich Bericht abzulegen.
Eine Vorstellung, die Matteo frösteln ließ.
Er war kein Mönch und erst recht nie ein Heiliger gewesen; weder band ihn eine Ehe noch die elterliche Sorge um ein Kind. Er war einsam, aber frei, konnte folglich tun und lassen, was immer er wollte. Natürlich gab es diese verschärften Sittengesetze, über die die Stadt sich das Maul zerriss und die tunlichst zu umgehen sich gleich zeitig jeder bemühte – aber reichte ihr strafender Arm tatsächlich so weit?
Bislang war ihm sein Haus stets als Schutz erschienen, ein sicherer, uneinnehmbarer Hort, in den er sich zurückziehen konnte, um seine Wunden zu lecken und neue Kraft zu schöpfen. Gefährliche Schätze hielt er dort versteckt. Darunter etwas, das ihn den Kopf kosten konnte, fiele es in die falschen Hände.
»Ich
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