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Die Sünderin

Die Sünderin

Titel: Die Sünderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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rechten Hand zu massieren, hielt die Augen darauf gerichtet und wartete auf die nächste Frage.
    Er war so sanft, dass sie es kaum ertragen konnte. Weil es falsch war und verlogen. Er wollte mit ihr über den Sinn des Lebens reden und über die Flucht vor der Strafe.
    «Ich wollte nicht vor der Strafe fliehen», sagte sie. «Ich wollte mir nur nicht anhören müssen, was der Chef von meinem Vater erfahren hat.»
    «Was könnte er denn erfahren?»
    Das geht dich einen Dreck an, du Zwerg, dachte sie. Dass ich   … Vater war einmal in unserem Zimmer und hat im Nachttisch geschnüffelt. Es war ein einfacher Nachttisch mit einem Schubfach oben und einer Klappe unten. Hinter der Klappe bewahrte Magdalena ihre Musik auf. Im Schubfach lagen ihre Medikamente. Und die Kerze! Eine von denen, die Mutter für den Altar gekauft hatte. Mutter kam nie ins Zimmer. Aber Vater. Und er fand die Kerze. Er sah auch, dass ich sie nicht zum Beten benutzt hatte. Der Docht war nämlich noch weiß. Und am Ende war sie ein bisschen verschmiert.
    Sie sah Vater bei der Tür stehen, schwankend zwischen Abscheu und Enttäuschung. Die Kerze hielt er in der Hand. Er streckte ihr die Hand entgegen. «Was geht hier vor? Was treibst du damit?»
    Sie hörte sich antworten: «Kannst du dir das nicht denken? Du bist doch sonst nicht so schwer von Begriff, wenn es um die Natur des Menschen geht. Hast du mir nicht mal erzählt, wenn man älter wird, kommt man nicht dagegen an? Ich habe auch eine Natur. Aber ich bevorzuge die trockene Variante. Eine Kerze spritzt nicht, und sie stinkt nicht. Leg sie wieder dahin, wo du sie gefunden hast, und dann verzieh dich.»
    Vater ließ die Kerze auf den Boden fallen und schlich mit hängenden Schultern zur Treppe. Er weinte wie in der Nacht,als er auf ihrem Bett saß und ihr sein Elend zu erklären versuchte. Diesmal erklärte er nichts, er murmelte nur: «Was ist aus dir geworden? Du bist ja schlimmer als eine Hure.»
     
    Mit den Jahren hat sich alles umgekehrt. Es hatte wohl etwas mit Erwachsenwerden zu tun, mit Verstehen und Begreifen. Es gibt Dinge, die will man nicht verstehen, aber man muss. Dass ein Vater ein Mann ist. Dass er Bedürfnisse hat wie jeder Mann. Dass er zornig wird und ungerecht, wenn man ihm seine Befriedigung verweigert. Irgendwie verstand ich ihn ja.
    Als ich älter wurde, habe ich auch oft darüber nachgedacht, wie es wohl ist, geliebt zu werden. Nicht nur mit dem Herzen, auch mit dem Körper. Hingabe, Leidenschaft, Zungenküsse, Orgasmus und solcher Kram. Als ich älter wurde, gewöhnte ich mich an den Busen und die Blutungen. Ich hatte keine Schwierigkeiten mehr, Tampons zu benutzen. Und manchmal dachte ich eben, ob ich jetzt den Tampon reinschiebe oder ob ein Mann   … So groß kann der Unterschied nicht sein, dachte ich. Und wenn ein Mann das braucht!
    Aber ich verstand auch Mutter, die damit nichts mehr zu tun haben wollte. Im Grunde war Mutter ein bedauernswertes Geschöpf. Ich meine, wenn eine Frau nicht richtig ist im Kopf, kann sie doch eigentlich nichts dafür. Mutter glaubte diesen Quatsch eben. Dass man es nur tun darf, wenn man ein Kind zeugen will.
    Solange sie nicht schwanger wurde, war es in Ordnung gewesen, auch dreimal am Tag. Da durfte sie sich einreden, dass sie sich große Mühe gibt, dem lieben Gott einen Gefallen zu tun. Mutter hat nie begriffen, dass zweitausend Jahre eine verdammt lange Zeit sind, in der nun wirklich mehr als genug Menschen gemacht wurden.
    Und dabei könnte es durchaus so sein, wie Margret es in ihrem Brief damals schrieb. Dass der Erlöser mit all diesenVerboten überhaupt nichts zu tun hatte. Dass der horrende Blödsinn erst später von seinen Vertretern auf Erden erfunden wurde. Und die Leute mussten es glauben. Was hätten sie sonst tun sollen, wo sie nicht lesen und schreiben konnten?
    Wenn ich mir nur vorstelle, wie es in Buchholz war. Eine Hand voll Höfe und die Böden so schlecht. Um das bisschen Vieh, das sie hatten, über den Winter zu bringen, mussten sie so manches Jahr das Stroh von den Dächern nehmen. Vater erzählte mir einmal, dass ein fettes Schwein zu der Zeit hundert Pfund wog. Das muss man sich mal vorstellen: Hundert Pfund waren ein fettes Schwein. Darüber kann man heute nur lachen. Und dann die Pest und dreißig Jahre Krieg.
    Sie waren arm, sie waren dumm, sie wussten meist nicht, wie sie ihre Kinder satt bekommen sollten. Wenn da einer predigte: Es ist Sünde, es ist schlecht und verdammenswürdig, dem Geschlechtstrieb

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