Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sünderin

Die Sünderin

Titel: Die Sünderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
Vom Netzwerk:
geraucht haben in Horstis Auto, weiß ich noch. Horsti hatte sich so einen Prügel gedreht und ließ mich mal ziehen. Und dann sagte er, ich hätte es falsch gemacht, weil ich den Rauch sofort wieder ausgeblasen hatte. Das ist alles, woran ich mich erinnere, der Rest ist weg. Ob das eine Folge der Sucht ist oder ob es eher etwas mit der Kopfverletzung zu tun hat, weiß ich nicht.
    Der Arzt damals meinte, es könne sowohl das eine als auch das andere, es könnte durchaus ein Verdrängungsprozess sein. Weil ich Dinge getan hatte, von denen ich wusste, dass kein normaler Mensch sie tut. Und ich wollte doch normal sein. Ich wollte nicht nachdenken müssen über die Männer, an die ich mich verkauft hatte. Deshalb habe ich sie alle hinter die Mauer geschoben. Ich wollte nicht, dass sie in meinem Kopf Gesichter bekamen und Körper und Hände, die mich anfassten. Ich wollte sie nicht vor mir sehen und sie nicht fühlen müssen, wenn ich mich erinnerte. Ich wollte mich eben nicht erinnern.
    Und trotzdem habe ich mich oft gefragt, ob es alte oder junge waren. Ich denke, zu Anfang müssen es in der Hauptsache alte gewesen sein. Männer wie Vater, die daheim zu kurz kamen, die sich das, was sie brauchten, nachts im Bad oder abends auf der Straße holen mussten. Die nichts weiter wollten als ein bisschen Zärtlichkeit und das Gefühl, dass sie überhaupt noch Männer sind. Und manchmal habe ich mich dann gefragt, warum ich es meinem Vater nicht angeboten habe.
    «Du kannst zu mir kommen, wenn du es so dringend brauchst. Sei ehrlich, du hast auch schon daran gedacht, zu mir zu kommen. Mach dir keine Sorgen, du opferst kein Lamm. Ich bin nie ein Lamm gewesen. Ich war immer der Wolf. Du kannst dir nicht vorstellen, was ich bei Aldi und Woolworth zusammengerafft habe. So wie ich in Mutters Bauch alles zusammengerafft habe. All ihre Kraft habe ich mir über die Nabelschnur geholt. Ich habe Mutters Gehirn ausgedörrt und sie in den Wahnsinn getrieben. Ich bin ein Werwolf, nachts springe ich aus meiner Kiste und fresse unschuldige Kinder. Und alten Männern, die sich nicht wehren können, ziehe ich die Haut vom Leib und reiße ihnen das Herz heraus. Ich bin das personifizierte Böse, Satans Tochter. Und da du mein Vater bist, musst du Satan sein. Komm inmeine Arme, du armer Teufel! Als ich noch klein war, hast du das zu mir gesagt. Jetzt sage ich es zu dir.»
    Gesagt habe ich es nie. Aber auf meine Weise habe ich wohl versucht, mich bei Vater zu entschuldigen. Vielleicht habe ich in jedem Mann, mit dem ich zu Anfang noch auf normale Weise schlief, ihn gesehen. Vielleicht habe ich irgendwann wirklich begriffen, dass Männer ihren Bedürfnissen ausgeliefert sind. Nicht jeder hat die Kraft eines Erlösers, der verzichten konnte. Und verstehen und verzeihen – sogar der Hure Magdalena.

11.   Kapitel
    Ihre Stunde war um. Der Professor hatte sie gebeten, ihm von ihren Erfahrungen mit der frommen Mutter und dem schwachen Vater zu berichten. Und sie hatte es getan. Um es möglichst schnell hinter sich zu bringen, hatte sie auch den Dreck ausgebreitet. Leicht war es nicht gewesen. Aber sie hatte es geschafft, war zufrieden mit sich und überzeugt, dass der Professor ihre Worte umgehend an den Staatsanwalt weiterleiten würde.
    Vielleicht kam dann einer auf die Idee zu glauben, Frankie sei nur ein ehemaliger Kunde gewesen. Das war auch keine üble Erklärung! Sie hatte ihn töten müssen, ehe er sie erkannte und ihrem Mann gegenüber ein verräterisches Wort verlauten ließ.
    Bei dem Gedanken an Gereon schoss ihr kurz etwas Heißes in die Augen. Es ging rasch vorbei. Die Jahre mit ihm waren wie die Haarspangen und Lippenstifte, bei Woolworth gestohlen und auf dem Schulhof an andere Mädchen verkauft oder verschenkt. Aus und vorbei, für immer und alle Zeiten. Spätestens vor Gericht musste Gereon sich anhören, wem er Treue geschworen hatte.
    Zu Mittag gab es Kartoffelpüree mit einer undefinierbaren Gemüsebeilage, es war alles völlig zerkocht. Das Fleisch war in kleine Würfel geschnitten, es bestand zum größten Teil aus Fett und Sehnen und schwamm in einer unappetitlichen braunen Tunke. Als Nachtisch war ein Becher Fruchtjoghurt vorgesehen.
    Auf dem Tablett lag ein weißer Plastiklöffel. Er erinnerte sie an den See und wühlte alles noch einmal auf. Warum hatte das Kind nicht nach einem Joghurt fragen können? Miteinem kleinen Plastiklöffel hätte sie Frankie höchstens das Gesicht zerkratzt.
    Sie aß ein wenig Püree. Es schmeckte

Weitere Kostenlose Bücher