Die Sünderin
nachzugeben, schauten sie sich ihre Kinder an und dachten, Mensch, der hat Recht. Wenn wir es lassen, kommen keine Mäuler mehr nach, die wir stopfen müssen.
Und gerade die Frauen. Der Fluch Evas. Denen hat doch keiner etwas gegeben, wenn sie in den Wehen lagen. Das gehörte dazu. Unter Schmerzen sollst du …
Mutter hat sich, als ihr die Verantwortung zu viel wurde, als sie sich nicht mehr anders zu helfen wusste, in diese Armut und diese Dummheit geflüchtet. Und da ist sie hängen geblieben. Da musste sie sich nicht länger mit dem Baby auseinander setzen, das sie nicht wollte – und nicht bekommen hat. Dass es nicht gut gewesen war, es abzutreiben, hatte sie wohl auch vorher gewusst. Aber vorher waren da bestimmt ein paar Leute, die es besser fanden, als aufrechte Deutsche nicht ein Kind vom Feind in die Welt zu setzen. Denen hatte sie geglaubt.
Mutter brauchte immer einen, der ihr sagte, was gut und was richtig ist. Als sie jung war, glaubte sie an den Führer, etwasspäter glaubte sie an einen Sieger, an sich selbst glaubte sie nie. Mir glaubte sie eine Weile, wenn ich sagte, was sie gerne hörte. Mit ein paar Bibelsprüchen konnte man sie um den Finger wickeln.
Die Mühe hat Vater sich nie gemacht. Wenn er spät in der Nacht und noch dazu betrunken heimkam, erzählte er ihr, sie hätten in der Firma noch etwas gefeiert und er könne sich nicht immer drücken. Mutter wusste so gut wie ich, dass er bei einer anderen Frau gewesen war.
Seit ich ihn im Bad erwischt hatte, ging er häufig zu Huren. Anschließend soff er sich den Kragen voll, weil er sich mies fühlte. Und die Wut auf sich selbst, die Verachtung, die er für sich empfand, ließ er an Mutter aus. Wenn er sie vom Kreuz weg an den Herd scheuchte, damit sie ihm das Essen noch einmal aufwärmte, tat sie mir Leid. Da konnte ich nicht anders. Ich sagte: «Lass nur, Mutter, ich mache das schon.»
Manchmal hätte ich weinen mögen, wenn ich sie zurück ins Wohnzimmer schleichen sah. Ich war erst vierzehn, fünfzehn und fühlte mich so alt. Als ob ich zwei Kinder hätte, die beide größer waren als ich und viel älter. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass sie Kinder waren. Dass ich die Verantwortung trug, für sie sorgen und sie erziehen musste.
Bei Mutter gab es nicht viel zu erziehen. Sie war ein braves Mädchen. Nicht mal schmutzige Gedanken hatte sie, nur schmutzige Unterwäsche. Aber Vater war ein wüster Bengel, mit dem man nicht streng genug reden konnte. Schon mit fünfzehn sagte ich zu ihm: «Wie viel hat dich die Hure heute gekostet? Hundert? Zweihundert? Ich brauche dreihundert für diese Woche. Es ist alles teurer geworden. Und hier sind schließlich noch andere im Haus, die haben auch Bedürfnisse.»
Und Vater schaute mich an, während ich ihm sein Essen vorsetzte. Er sagte nie etwas, zog nur die Geldscheine aus der Brieftasche und schob sie über den Tisch. Er verachtete michfür die Ausdrücke, die ich gebrauchte, das wusste ich. Und ich verachtete ihn, das wusste er.
Wir waren Feinde geworden. So wie eine Mutter und ihr Sohn Feinde werden im Laufe der Zeit. Weil der Sohn Dinge tut, von denen die Mutter meint, er solle sie besser noch lassen. Weil der Sohn weiß, dass die Mutter diese Dinge auch einmal getan hat – oder in meinem Fall noch tun wird. Aber die Mutter ist die Stärkere von beiden. Solange sie zusammen unter einem Dach leben, hat sie viel Macht über den Sohn. Er liebt sie ja, und er wünscht sich von ganzem Herzen, dass sie ihn liebt, dass sie stolz ist auf ihn. Und wenn er hundertmal auf sie schimpft und flucht, wenn er sie tausendmal anbrüllt, ihr seine Wut und seine Enttäuschung ins Gesicht wirft. Es ist nur Verzweiflung, Einsamkeit und die Angst, verlassen zu werden vom letzten Menschen, der ein bisschen Liebe geben könnte.
Nicht Mutter, ich habe Vaters Rückgrat gebrochen. Es war meine Schuld, dass er sich Mutter anschloss. Dass er nicht nur das Bett mit ihr teilte auf seine alten Tage, auch das Kreuz. Dass er vergaß, er war ein Mann. Dass er es völlig vergaß, als sei ihm der Beweis nun endlich abgefault.
Ich habe mich später oft gefragt, wie ich das tun konnte; für Geld mit irgendwelchen Männern schlafen. Ich weiß, warum ich es getan habe. Weil ich das Geld brauchte. Und irgendwann brauchte ich auch Stoff gegen den Ekel – und damit brauchte ich noch mehr Geld. Aber das hat mir als Erklärung nie gereicht. Und das Blöde ist, ich erinnere mich nicht an die Zeit.
Dass wir einmal Hasch
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