Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sünderin

Die Sünderin

Titel: Die Sünderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
Vom Netzwerk:
überprüften die Fesseln, ein unbeteiligtes Gesicht schaute auf sie hinunter. «Wie fühlen Sie sich?»
    Gar nicht! Sie wollte sich nicht mehr fühlen und drehte den Kopf zur Seite. Von irgendwoher kamen zwei, drei Tränen und versickerten im Bezug des Kissens, zwei, drei weitere rannen an der Nase entlang und erreichten die geschlossenen Lippen. Sie nahm sie mit der Zungenspitze auf.
    Sie war durstig, hätte sich jedoch eher die Zunge abgebissen, als um einen Schluck Wasser zu bitten. Ihr Halsschmerzte vor Trockenheit und der rüden Behandlung, die Nase auch. Wund gescheuert, alles war wund gescheuert.
    Es war sehr hell im Zimmer, früher Nachmittag. Ein Flügel des vergitterten Fensters war spaltbreit geöffnet. Von draußen drang das Zirpen von Spatzen herein. Die federnden, schmatzenden Schritte von Gummisohlen verzogen sich wieder in Richtung Tür. Dann war sie erneut allein – mit den Gedanken, den Erinnerungen, der Angst und der Schuld.
    Jeden Herzschlag fühlte sie, und bei jedem wünschte sie sich, das dumme Ding möge endlich stillstehen. Sie konzentrierte sich darauf. Wenn man allein durch den Willen leben konnte, wie Magdalena es achtzehn Jahre getan hatte, warum sollte man dann nicht auch allein durch den Willen sterben können? Es ging nicht! Es ging immer weiter.
    Später wurde die Tür erneut geöffnet. Draußen war es immer noch hell. Jemand kam herein mit einem Tablett in den Händen. Das Abendmahl. Nur war es nicht das letzte für eine Frau, die aus freiem Willen ihre Entscheidungen treffen konnte, es war das erste für einen Zombie. Eine Schnabeltasse und ein Brot, das jemand mit Käse belegt und in kleine Würfel geschnitten hatte. Eine Hand griff an ihr Kinn, eine zweite Hand hielt ihr die Tülle der Tasse an die Lippen. Sie drehte den Kopf mit einer unwilligen Bewegung zur Seite. Die Brühe lief ins Kopfkissen. Der Geruch von Pfefferminze stieg auf. Eine Stimme sagte in gleichgültigem Ton: «Wenn Sie nicht freiwillig essen und trinken, werden Sie zwangsernährt. Also, machen Sie den Mund jetzt auf oder nicht?»
    Sie machte ihn nicht auf. Der Durst war fast unerträglich geworden, der Hals völlig ausgedörrt, die Zunge angeschwollen.
    Wer immer gekommen war mit dem Tablett, er ging wieder. Die Tür fiel ins Schloss. Aber nicht lange, da wurde sie erneut geöffnet. Und diesmal kam ER.
    Schon als er sich über sie beugte, wusste sie, wer er war.Er trug den Sachverstand um sich wie eine Aura. Es blitzte in seinen Augen, strömte ihm mit jedem Atemzug aus der Nase. «Ich habe das Wissen und die Macht! Ich bin es, der dich retten kann aus der ewigen Verdammnis. Vertrau dich mir an, und du wirst dich leicht fühlen.»
    Da war ein letzter Rest von Renitenz in ihr. Und dieser Rest dachte: Irrtum, du Würstchen. Hast du ein Kartenspiel dabei?
    Seine Stimme klang freundlich. «Sie möchten nicht essen?»
    Sie war nicht sicher, ob sie ihm antworten sollte. Wer wusste denn, was er aus ihren Antworten ableitete? Am Ende ließ er sie nie mehr aus diesem Zimmer, nie mehr aus diesen Windeln, nie mehr aus seinen Klauen.
    Dann entschloss sie sich doch, einen Versuch zu wagen. Nur um ihm zu zeigen, dass er sich an ihr die Zähne ausbiss. Eine süchtige Hure, hart geworden auf der Straße. Da wurden alle hart. Es war nur ein Krächzen, der raue Hals wollte nicht so wie sie. «Vielen Dank, ich bin nicht hungrig. Aber wenn Sie eine Zigarette für mich hätten, wäre ich Ihnen dankbar.»
    «Das tut mir Leid», sagte er. «Ich habe keine Zigaretten bei mir. Ich rauche nicht.»
    «So ein Zufall», krächzte sie. «Haben wir schon eine Gemeinsamkeit. Ich rauche nämlich auch nicht. Das hab ich mir vor zehn Jahren abgewöhnt. Ich dachte nur, mit einer Zigarette kriege ich wenigstens eine Hand frei.»
    «Möchten Sie eine Hand frei haben?»
    «Eigentlich nicht. Ich liege ganz bequem so. Ich würde mich nur gerne mal an der Nase kratzen.»
    Sie hatte ein anderes Wort als Nase benutzen wollen, ein ordinäres. Arschloch! Das war Magdalenas dreckiges Wort, und es wollte nicht über ihre Lippen.
    «Wenn Sie vernünftig sind, sorge ich dafür, dass Ihre Fesseln gelöst werden.»
    «Habe ich noch nicht bewiesen, wie vernünftig ich bin?», fragte sie. «Ich wollte dem Staat ein nettes Sümmchen sparen. Man sollte die Todesstrafe wieder einführen. Auge um Auge, so steht es in der Bibel. Leben um Leben.»
    Darauf ging er nicht ein. «Es liegt bei Ihnen», sagte er ruhig. «Wenn Sie etwas essen, etwas trinken und Ihre

Weitere Kostenlose Bücher