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Die Sünderin

Die Sünderin

Titel: Die Sünderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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Medikamente nehmen   …»
    Es strengte an, ihm zu antworten. Aber wo sie nun einmal angefangen hatte, wollte sie auch weitermachen. «Was haben Sie denn Schönes für mich? Ein bisschen Resedorm?»
    Es war nur ein kurzes Aufblitzen im Hirn. Eine gepflegte, schmale Hand und ein Glas Orangensaft. Es verschwand auf der Stelle in Dunkelheit. Und in der Dunkelheit fragte eine misstrauische Frauenstimme. «Was gibst du ihr da?»
    Die Stimme eines Mannes antwortete, vertraut, aber nicht sanft, nur nüchtern. «Resedorm. So wirkt es am schnellsten.»
    Und die Frau sagte mit nörglerischem Unterton: «Aber sie ist doch nicht richtig bei Bewusstsein. Kann sie überhaupt schlucken?»
    Der Mann erwiderte leicht ungehalten: «Das versuche ich gerade herauszufinden. Und es wäre mir lieb, wenn du still bist. Ich bin nicht sicher, ob sie uns versteht.»
    Es war immer noch dunkel. Sie fühlte nur, dass sich eine Hand unter ihren Nacken schob, und hörte dazu die Stimme. «Blinzeln Sie, wenn Sie mich verstehen.»
    Sie blinzelte, aber vor ihren Augen war nur Nebel. «Gut», sagte er. «Versuchen Sie, den Kopf zu heben. Ich helfe Ihnen.» Und der kühle Rand des Glases berührte ihre Lippen. «Hübsch austrinken», sagte er. «Schön langsam, versuchen Sie es. Ein Schlückchen und noch eins. Ja, wunderbar, es geht doch. Sie dürfen gleich weiterschlafen. Sie brauchen noch viel Schlaf.»
    Der kam augenblicklich nach dem Glas Orangensaft. Wie mit einem Sack über den Kopf gestülpt kam er. Es war keinSack! Es war ein Aschenbecher! Er stand auf einem niedrigen Tisch.
    Auch das war nur ein Aufblitzen im Hirn, grün, rot, blau und gelb ausgeleuchtet. Es ergab keinen Sinn, war nur unvermittelt da. Vielleicht, weil der Chef von einem Aschenbecher gesprochen hatte. Aber es kam zusammen mit dem metallischen Geschmack von Blut im Mund und einem Schmerzensschrei, mehr einem Kreischen: «Das Aas hat mich gebissen.»
    Und eine Hand griff zum Tisch, tauchte mit einem schweren Aschenbecher aus Glas vor ihrem Gesicht auf, sauste hinunter – und dann nichts mehr. Nur der Gedanke jetzt, fast ein Grinsen im Hirn.
    Quäl dich nicht mit der Frage, wer dir den Schädel eingeschlagen hat. Du weißt es doch! Es war einer von den letzten Freiern, die auf ihre Weise bezahlten.
    Der Sachverständige stand noch über sie gebeugt, beobachtete die kleinen und winzigen Regungen mit Argusaugen. «Haben Sie Erfahrungen mit Resedorm?», erkundigte er sich.
    «Ich habe viele Erfahrungen», sagte sie. «An welchen sind Sie denn am meisten interessiert?» Mit dem ausgedörrten Hals hatte sie beim Sprechen ein Gefühl, als jongliere sie Nadeln in der Kehle. Aber sie sprach weiter. «An meinen Erfahrungen mit einer frommen Mutter? An meinen Erfahrungen mit einem schwachen Vater? Oder an meinen Erfahrungen mit Drogen?»
    «Resedorm ist keine Droge», erklärte er. «Es ist ein Schlafmittel.»
    «Weiß ich doch», murmelte sie.
    Als sie es aussprach, fiel es ihr wieder ein. Margret hatte ihr Resedorm gegeben – auf Vorschlag ihres Freundes Achim Miek. Ein Arzt und eine Krankenschwester   …
    Nein! Nein, so war das nicht gewesen. Achim Miek hatte ihr niemals ein Glas an die Lippen gehalten, und Margrethatte ihr nie einen Orangensaft gereicht! Zwei Tabletten mit einem Glas Wasser hatte Margret ihr gegeben. Und das eben war auch nicht Margrets Stimme gewesen.
    Es musste die mürrische Krankenschwester gewesen sein. Und der Arzt mit den feinen Händen und dem sauber gestutzten Bart! Komisch, bisher hatte sie sich nie an ein Glas in seiner Hand erinnert. Nur an die Injektionen. Und an das, was er ihr gesagt hatte! Perverse Freier!
    Sie war müde, nur noch müde. «Weiß ich alles», murmelte sie. «Und das sollten Sie mich tun lassen, schlafen.»
    Der Sachverständige blieb noch eine Weile neben dem Bett. Sie kümmerte sich nicht weiter um ihn.
    Als sie die Augen schloss, sah sie sich am Wasser stehen. Der Kleine hockte zu ihren Füßen und schwenkte den roten Fisch. Sein schmaler weißer Rücken, die runden, glatten Kugeln der Schultern, der zierliche Nacken und das weißblonde Haar ließen ihn aussehen wie ein Mädchen. Wie Magdalena zu der Zeit, als sie nur ein Bündel gewesen war, das von einem Raum in den anderen getragen wurde, das sie hassen durfte mit der ganzen Inbrunst und der Unschuld eines Kindes.
    Warum war sie nicht hinausgeschwommen? Er wäre ihr nicht gefolgt. Sie war doch für ihn nur die Frau gewesen, die ihn übers Wochenende mit Joghurt und Äpfeln

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