Die Sünderin
hat er zuerst geschlagen, das weiß ich jetzt wieder. Und dann nochmal auf die Seite. Da wurde es dunkel. Sie haben wohl gedacht, ich bin tot. Auf die Straße haben sie mich geworfen. Was meinen Sie, soll ich es dem Professor mal so erzählen, wie ich es dem Chef erzählt habe? Das wäre vielleicht günstig, dann gibt es keinen Widerspruch. Man darf sich nicht in Widersprüche verwickeln, dann haben sie einen gleich am Haken.»
«Was haben Sie dem Chef denn erzählt?», erkundigte sich Eberhard Brauning zögernd.
«Na, das mit den beiden Männern, wo Frankie auf der Couch saß. Haben Sie das nicht in Ihren Akten?»
Er schüttelte den Kopf. «Komisch», meinte sie. «Für schlampig hatte ich ihn nicht gehalten.» Dann wurde sie eifrig. «Ich habe gesagt, es waren Freunde von Frankie, und das Mädchen wollte, dass ich sie beide gleichzeitig ranließ. Dabei möchte ich gerne bleiben, und ich möchte eigentlich auch erklären, dass Frankie mein Zuhälter war.»
«War er das?», fragte Eberhard Brauning.
«Natürlich nicht», sagte sie. Es klang beinahe entrüstet. «Aber es könnte mir auch keiner das Gegenteil beweisen. Ich hatte mir das schon mal überlegt, aber im Moment …» Sie brach ab und lächelte entschuldigend. «Na ja, mir kommt halt manchmal einiges durcheinander, wenn ich denke. Aber machen Sie sich keine Sorgen, das kriege ich hin.»
Dann lehnte sie sich auf dem Stuhl zurück und nickte versonnen. «Jetzt haben wir doch schon alles besprochen. Na, dann hat es sich für Sie wenigstens gelohnt, und Sie haben das Wiederkommen gespart. Ich werde jetzt versuchen, darüber nachzudenken. Vielleicht sollten Sie besser gehen.»
Das fand Eberhard Brauning auch. Er konnte sich nun einigermaßen hineinversetzen – nicht in sie und ihre Motivation, nur in die vernehmenden Beamten. Jetzt musste er sich erst einmal mit Helene besprechen.
Es war ein ständiges Stolpern über Bruchstücke, Sich-wieder-Aufraffen und Weiter-Umherirren in dem Trümmerfeld, das einmal ein sauber von einer Mauer in zwei Hälften geteiltes Hirn gewesen war. Nach dem Besuch des Chefs war es so schlimm geworden, dass sie sich selbst verloren hatte. Manchmal fand sie einen Teil von sich wieder, aber der stammte dann meist aus einer anderen Zeit.
Als ihr Anwalt erschien, tauchten im Gewirr einige Teile der Cora auf, die nach der Geburt ihres Kindes dem Alten Kontra gegeben, ihm die Büroecke, den Lohn und schließlich sogar ein Haus abgerungen hatte. Nur entschwanden die Stücke, noch während er ihr am Tisch gegenübersaß.
Und sie saß wieder an Magdalenas Bett und neben Frankie am See. Sie legte ihr Gesicht in sein Blut, um im nächsten Moment Johnnys Lächeln vom Vordersitz eines Wagens in sich aufzunehmen und dabei genau zu wissen, es konnte so nicht gewesen sein. Es war sowenig Wirklichkeit wie Gottvater, der sich nachts über sie beugte und zu ihr von der Unschuld seines Sohnes sprach, wenn sie dachte, sie schliefe.
Sie hätte dringend einen Menschen gebraucht, der ihr half, die größten Brocken beiseite zu räumen. Aber es hätte ein besonderer Mensch sein müssen. Einer, der verstand und glaubte, notfalls an Geister und Wünsche, die zu Bildern wurden. Wenn gar nichts mehr half, musste man daran glauben. Aber ein besonderer Mensch tauchte nicht auf. Also versuchte sie es alleine. Wenigstens ein bisschen Ordnung schaffen, damit es etwas aufgeräumter aussah.
Dass die anderen Betten kein Täuschungsmanöver waren, bemerkte sie schon kurz nach dem Tag, an dem sie mit ihrem Anwalt gesprochen hatte. Wie lange danach, hätte sie nicht sagen können. Die Tage glichen sich. Aber es war nebensächlich. Sie hatte mit den anderen Frauen nichts zu tun. Im Gegensatz zu ihr waren die in gewisser Weise noch frei. Für sie ging es nur hinaus, wenn eine weitere Sitzung beim Professor anstand. Die Angst vor ihm wurde bald Vergangenheit. Sie kam gut zurecht mit ihm, fand schnell heraus, was er hören wollte. Sogar über Magdalena sprachen sie schließlich, weil sie davon ausging, dass er es ohnehin vom Chef erfuhr.
Und Magdalenas Tod war Frankies Schuld. So hatte sie es schließlich mit ihrem Anwalt besprochen. Der Professor glaubte ihr nicht auf Anhieb, weil Frankies Vater ein Kollegevon ihm war, auch ein Professor. Ein hübscher Junge aus gutem Haus, sagte er, habe es doch nicht nötig, sich als Zuhälter zu betätigen.
So ähnlich hatte sie auch einmal gedacht. Aber was sie gedacht hatte, zählte nicht mehr. Jetzt zählte nur noch,
Weitere Kostenlose Bücher