Die Sünderin
den Hals gezielt. Es ist ein kleines Messer. Ich dachte, wenn ich auf die Brust ziele, das Herz treffe ich vielleicht nicht damit. Aber am Hals, da ist die Schlagader, und da ist der Kehlkopf. Darauf habe ich gezielt. Und ich habe auch getroffen. So wie er geblutet hat, muss ich die Schlagader getroffen haben. Aber ich habe ihn auch an anderen Stellen getroffen. Im Gesicht. Und einmal ist mir das Messer abgerutscht, da ging es in die Schulter.»
Der Chef nickte. «Was hat Sie veranlasst, den Mann zu töten? Ich habe das doch richtig verstanden, Sie wollten ihn töten.»
«Ja, das wollte ich», sagte sie mit fester Stimme. Und in dem Moment wusste sie auch, dass sie es schon seit langer Zeit hatte tun wollen. Diesen Mann töten, nicht irgendeinen, ausschließlich diesen.
3. Kapitel
Es spielte keine Rolle mehr, aus welchen Gründen sie an den See gefahren war. Es war anders gekommen, und es war gut so. Während der Fahrt hatte sie es so nicht gewollt, und hätte die Frau an der Sperre gesagt, sie sei gekommen, um einen Mann zu töten, sie hätte die Frau für verrückt gehalten. Aber als es geschah, hatte es so sein müssen. Ihre Erkenntnis machte sie ein wenig ruhiger.
Die beiden Männer dagegen schienen von der knappen Äußerung schockiert. Sie sah es an ihren Mienen, kam jedoch nicht dazu, nachzudenken, ob sie es vielleicht etwas weniger krass hätte formulieren sollen. Jetzt ging es Schlag auf Schlag. Der Chef stellte die Fragen, der Mann im Sportanzug saß nur da und ließ sie nicht aus den Augen.
«Kannten Sie den Mann?»
«Nein.»
«Sie hatten ihn nie zuvor gesehen?»
«Nein.»
«Sie wissen wirklich nicht, wer er war?»
«Nein.»
Das war die Wahrheit, und die Wahrheit war immer gut und immer richtig. Den Chef schien sie jedoch zu verwirren. Er warf dem Mann im Sportanzug einen irritierten Blick zu. Der zuckte mit den Achseln, der Chef deutete ein Kopfschütteln an und wandte sich wieder an sie. «Und warum wollten Sie ihn töten?»
«Ich habe mich über die Musik geärgert.» Es war nicht ganz korrekt, kam aber der Wahrheit am nächsten.
«Die Musik?» wiederholte der Chef mit einem fassungslosen Unterton, den sie durchaus registrierte.
Sie beeilte sich, es genauer zu erklären, ohne das Lied erwähnen zu müssen. «Ja, sie hatten ein großes Radio dabei. Es lief sehr laut. Dann hat die Frau es noch lauter gestellt. Das hat mich wütend gemacht.»
Der Chef räusperte sich. «Warum haben Sie die Frau nicht gebeten, die Musik leiser zu stellen? Und warum haben Sie den Mann angegriffen, wenn die Frau die Musik lauter gestellt hatte?» Das war die alles entscheidende Frage. Nur hatte sie darauf keine Antwort. «Ich habe sie gebeten», erklärte sie. Und weil es so nicht den Tatsachen entsprach, korrigierte sie sich auf der Stelle. «Also, nicht direkt gebeten, aber ich habe mich beschwert. Sie hat sich nicht darum gekümmert. Kann sein, dass ich nicht laut genug gesprochen habe. Ich wollte nicht brüllen. Ich … nun, ich wollte ja eigentlich ins Wasser gehen. Ich wollte … ich …»
Das ging ihn nun wirklich nichts an, und es hatte auch mit der Sache überhaupt nichts zu tun. Sie brach ihr Stammeln ab und sagte energisch: «Hören Sie: Er lag auf der Frau! An sie wäre ich nicht rangekommen. Aber ihr wollte ich ja auch gar nichts tun, wirklich nicht. Ich wollte ihn umbringen. Das habe ich getan. Darüber müssen wir nicht diskutieren. Ich leugne es nicht. Das reicht doch für Ihre Akten.»
«Nein», sagte der Chef und schüttelte den Kopf. «Das reicht nicht, Frau Bender.»
«Wenn Sie dabei gewesen wären», widersprach sie, «dann wüssten Sie, dass es dreimal reicht. Sie hätten sehen müssen, wie der Kerl über die Frau herfiel. Da kann man ja nicht einfach zuschauen. Da muss man doch etwas unternehmen.»
Der Chef starrte sie an. Seine Stimme hatte eine gewisse Schärfe, als er sagte: «Wir reden hier nicht von einem Kerl, Frau Bender, der über eine Frau herfiel! Wir reden von einem Mann, über den Sie hergefallen sind. Und ich wüsste – verdammt nochmal – gerne, warum. Sein Name war Georg Frankenberg. Und jetzt erzählen Sie mir nicht wieder …»
Was er sonst noch sagte, verstand sie nicht. Etwas wie ein Schleier legte sich über ihre Ohren. Unvermittelt tauchte vor dem geistigen Auge das Bild einer Gefängniszelle auf. Eine Wärterin schloss die Tür hinter ihr. Seltsamerweise hatte die Wärterin Mutters Gesicht, und statt eines Schlüssels hielt sie in der einen
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