Die Sünderin
verhindern konnte, hatte sie sich beide Hände auf die Ohren gepresst.
Es war in dem Moment wie Feuer im Kopf. Sie wussten Bescheid! Irgendeiner hatte ihnen von dem Lied erzählt. Und jetzt wollten sie, dass sie es sich noch einmal anhörte. Was das für Folgen hätte, wusste nur der Himmel. Vielleicht sprang sie erneut auf und schlug einem von ihnen den nächsten Pflanzentopf über den Schädel.
Aber es kam keine Musik, es kam gar nichts. Und die beiden Männer starrten sie misstrauisch an. «Ist etwas nicht in Ordnung, Frau Bender?», erkundigte sich der Chef.
Sie lächelte krampfhaft, nahm die Hände herunter und versicherte eilig: «Doch, es ist alles in Ordnung. Ich hatte nur gerade so einen unangenehmen Druck auf den Ohren. VomWasser, nehme ich an. Ich bin getaucht, und … Aber es ist schon wieder weg. Wirklich, ich höre Sie sehr gut.»
Da begann er endlich. Er hielt sich nicht mehr lange mit Paragraphen auf, formulierte es so knapp wie möglich. «Frau Bender, Sie haben kurz nach achtzehn Uhr am Otto-Maigler-See einen Mann getötet. Es waren mehrere Personen in unmittelbarer Nähe, die das Geschehen beobachtet haben und eine Aussage machen konnten. Einige der Aussagen sind bereits zu Protokoll genommen und unterschrieben. Die Tatwaffe ist sichergestellt. Soweit ist die Sachlage klar. Wir möchten Ihnen trotzdem gerne noch ein paar Fragen stellen. Sie haben das Recht, die Aussage zu verweigern. Sie haben das Recht, einen Anwalt …»
Bevor er weitersprechen konnte, hob sie die Hand und unterbrach ihn. Diesmal bemühte sie sich um einen sanften Ton. Der schwarze Kasten war ein Aufnahmegerät, das hatte sie inzwischen begriffen. Damit wurde jedes Wort aufgezeichnet, um es später allen möglichen Leuten vorzuspielen. Jeder konnte sich anhören, was sie gesagt hatte. Jeder konnte hören, wie sie es gesagt hatte. Und jeder konnte seine Schlüsse daraus ziehen.
«Das weiß ich alles», sagte sie. «Und ich habe es schon zweimal gesagt. Ich brauche keinen Anwalt. Ich lege ein Geständnis ab. Ich unterschreibe auch, dass Sie mich weder unter Druck gesetzt noch sonst etwas mit mir gemacht haben, dass ich mehrfach über meine Rechte belehrt wurde und so weiter. In Ordnung?»
«In Ordnung», wiederholte der Chef. «Wenn Sie es so möchten.» Er saß vorgebeugt und ließ sie nicht aus den Augen.
Sie atmete tief durch und überlegte, wie sie es ausdrücken könnte, um schon mit dem ersten Satz klarzustellen, dass sie hundertprozentig in Ordnung war; körperlich und vor allem natürlich geistig. Das Händezittern hatte sie recht gut unterKontrolle. Sie musste nur die eine Hand fest genug um die andere legen, dann fiel es kaum auf. Außerdem schauten sie nicht auf ihre Hände, nur in ihr Gesicht. Nach zwei Sekunden sagte sie mit fester Stimme: «Ich habe kurz nach achtzehn Uhr am Otto-Maigler-See einen Mann erstochen. Ich habe dazu das kleine Messer benutzt, mit dem ich einen Apfel für meinen Sohn schälte.»
Der Chef zauberte einen Klarsichtbeutel auf den Tisch, in dem das blutverschmierte Messer lag. «Ist es dieses Messer?»
Zuerst nickte sie nur, dann fiel ihr ein, dass ein Nicken nicht auf Band aufgezeichnet wurde, und sagte knapp: «Ja.»
«Hatten Sie das Messer zu diesem Zweck mit an den See genommen, um einen Apfel damit zu schälen?» wollte er wissen.
«Ja, natürlich. Außer den Äpfeln hatten wir nichts dabei, wofür wir es gebraucht hätten.»
«Aber stattdessen haben Sie einen Mann damit erstochen», sagte der Chef. «Wussten Sie, was geschieht, wenn Sie mit diesem Messer auf einen Menschen einstechen?»
Sie starrte ihn verständnislos an. Dann begriff sie den Sinn seiner Frage und begann zu lächeln. «Hören Sie: Auch wenn ich ein bisschen nervös bin, Sie müssen nicht mit mir reden wie mit einer Geistesgestörten. Natürlich wusste ich, was passiert, wenn ich mit diesem Messer auf einen Menschen einsteche. Ich verletze ihn, ich töte ihn. Ich habe so zugestochen, dass die Stiche zum Tod führen mussten. Und das wusste ich, als ich es tat. Ist Ihre Frage damit umfassend genug beantwortet?»
Der Chef ließ nicht erkennen, wie diese Worte auf ihn wirkten. Er wollte nur wissen: «Wenn Sie die Stiche bewusst ausgeführt haben, Frau Bender, erinnern Sie sich, wo der erste Stich den Mann traf?»
Sie lächelte immer noch. Erinnern Sie sich? Nie im Leben würde sie es vergessen – alles andere vielleicht, aber dasnicht! «In den Nacken», sagte sie. «Dann drehte er sich um. Da habe ich auf
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