Die Sünderin
Nachdenken. Er zauberte von irgendwoher einen Imbiss herbei. Nur ein paar Kekse und noch einmal frischen Kaffee. Diesmal sollte der andere ihn aufbrühen, damit er nicht so stark wurde. Sie hörte seine Stimme wie durch Watte. Immer wieder Köln. Warum hatte sie sich ausgerechnet für diese Stadt entschieden, wollte er wissen. Bremen oder Hamburg wäre doch nahe liegender gewesen.Wo hatte sie das Geld herbekommen für eine so weite Fahrt?
«Gestohlen», murmelte sie und schaute zu Boden. «Von meiner Mutter. Fast achthundert Mark. Davon konnte ich die Fahrkarte bezahlen und ein paar Wochen leben. Ich fand sofort Arbeit und auch eine kleine Wohnung.»
«Wo?»
Sie nannte ihm Margrets Adresse! Im Durcheinander war nichts anderes greifbar. Es dauerte ein paar Sekunden, ehe ihr bewusst wurde, was sie gesagt hatte. Im selben Augenblick wurde ihr klar, wie sinnlos es war. Wenn er ihre Worte überprüfte, und das tat er gewiss, musste er rasch feststellen, wo die Lügen aufhörten und die Wahrheit begann.
Der Herzschlag beschleunigte sich, die Hände wurden feucht von Schweiß. Margret käme in große Schwierigkeiten. Sie hatte einen entscheidenden Fehler gemacht. Sie hätte sagen müssen, sie sei mit Johnny durchgebrannt. Nicht sofort, erst im August. Der August war wichtig. Sie wusste nicht, warum. Im Augenblick wusste sie insgesamt nicht viel, weil es zu viel war, was ihr durch den Kopf zog.
Aufgeben! Sie hatte schon von Leuten gehört, die in Verhören zusammenbrachen, deren Widerstandskraft gebrochen wurde von immer denselben Fragen. Sie nicht! Sie raffte zusammen, was noch an Kraft in ihr war. Eine letzte Reserve gab es immer. Achtzehn Jahre Kampf gegen Mutter hatten sie stark gemacht, hatten sie gelehrt, Geschichten so zu erzählen, dass keine Frage offen blieb. Wahrscheinlich musste sie Mutter auch noch dankbar sein für das unermüdliche Training.
Dem äußeren Anschein nach war es die endgültige Resignation. Den Kopf kurz anheben, ein wunder Blick in die Augen des Chefs und den Kopf wieder senken, die Stimme ebenfalls. Im Innern war es eiserne Selbstkontrolle und Anspannung bis zum Zerreißen. Die linke Hand mit der rechtenumklammern, den Schweißfilm am Rock abwischen. Sie saß längst wieder auf dem Stuhl. Ihre Schultern sackten nach unten. Georg Frankenberg war tot, ihn konnten sie nicht um eine Bestätigung bitten.
Es war nur ein Flüstern. «Sie finden es ja doch heraus. Ja, es gab einen Grund, dass ich ausgerechnet nach Köln gekommen bin. Ich habe Ihnen eben nicht die Wahrheit gesagt, weil ich mich so geschämt habe. Ich bin nämlich damals eine Weile mit Johnny herumgezogen. Verstehen Sie? Er hat mich gar nicht heimgebracht an dem Abend, als wir in Hamburg waren. Die anderen waren weg, wir waren allein im Keller. Er wollte, dass ich bei ihm bleibe. Und ich … ich hatte doch mit ihm geschlafen, und das war toll gewesen. Ich dachte, wir gehören jetzt zusammen. Das war im August. Hatte ich schon gesagt, dass es im August war?»
Der Chef nickte, und sie log ihm vor von einigen Wochen, in denen sie gemeinsam herumgezogen waren, von einer Fahrt im September Richtung Köln, wo Johnny einen Freund besuchen wollte, wie er von unterwegs mehrfach vergebens telefonierte, um sie anzukündigen. Und einmal schickte er sie zum Telefon, er schrieb ihr die Nummer auf einen Zettel. Und später, als sie wieder daheim war, fand sie den Zettel. Und als Mutter sie hinauswarf, rief sie die Nummer an. Es meldete sich eine junge Frau. Sie fragte nach Johnny, die Frau wusste mit dem Namen nichts anzufangen und riet ihr, am Abend noch einmal anzurufen, dann sei ihr Mann daheim.
Ein paar Sekunden Pause! Sie nahm einen Schluck aus dem Kaffeebecher. Fast atemlos wartete sie, ob auch zu dieser Lüge ein paar Bilder entstanden. Es geschah nichts. Sie biss ein winziges Stückchen von einem Keks ab, konnte es kaum schlucken. Die Kekse hatten einen Überzug aus Schokolade, da war jeder Krümel das Todesurteil für Magdalena.
Der Chef beobachtete sie aufmerksam. Sie hatte schon wieder einen Fehler gemacht. Eine Weile herumgezogen!Womit denn? Mit welchem Fahrzeug waren sie nach Köln gekommen, um Johnnys Freund zu besuchen, wenn doch der silberfarbene Golf dem Dicken gehörte?
Ehe der Chef nachhaken konnte, log sie rasch weiter. «Abends rief ich noch einmal an. Der Mann war am Telefon. Diesmal fragte ich nach Horsti. Der Mann lachte. ‹Sein Name ist Georg Frankenberg›, sagte er. ‹Wie er auf Horsti gekommen ist, weiß der
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