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Die Sünderin

Die Sünderin

Titel: Die Sünderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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auf dem Teller haben.»
    Dann rannte er hinauf und schloss sich im Bad ein. Als ich später an die Tür klopfte, weil ich mal aufs Klo musste, brüllte er: «Geh in den Garten pinkeln! Ich kann jetzt nicht aufmachen! Ich bin gerade dabei, mir den Schwanz abzureißen. Das kann noch dauern. Er hängt verdammt fest.»
    Aber ich mochte ihn trotzdem. Und Magdalena mochte ich auch, an dem Nachmittag ganz bestimmt. Ich wollte nicht, dass sie schwarz wurde und Würmer bekam. Das stellte ich mir genauso eklig vor wie sie. Ich weiß noch, dass ich dachte, es wäre am besten für sie, wenn mein Traum in Erfüllung ginge. Mit einem Bissen von einem großen Wolf verschlungen zu werden, das ging schnell und tat wahrscheinlich auch nicht sehr weh.
    Und in der Nacht hatte ich den Traum wieder. Er war ein bisschen anders als beim ersten Mal. Nachdem der Wolf sie gefressen hatte, kam er langsam auf mich zu. Er lief nicht zurück zur Kiste wie beim ersten Mal. Er stand vor mir undschaute mich an. Von seiner Schnauze tropfte noch Magdalenas Blut. Und er drückte mir die Schnauze in den Bauch. Ich dachte, jetzt frisst er mich auch. Aber es sah eher so aus, als wollte er schmusen.
    Und dann passierte etwas Komisches. Seine Schnauze verschwand in meinem Bauch. Und das tat überhaupt nicht weh. Auch nicht, als der Rest von ihm in mir verschwand. Die Beine, die Pfoten, der ganze Körper, zuletzt der dicke Schwanz. Und mein Bauch war in Ordnung, es war kein Loch drin. Da wusste ich Bescheid.
    Ein paar Wochen vorher hatte ich nämlich auf dem Schulhof gehört, wie zwei Mädchen über einen Mann sprachen, der sich nachts in einen Wolf verwandelte und Leute fraß. Tagsüber war er ein ganz normaler Mensch. Da gab er sich sehr viel Mühe, lieb und nett zu sein, half allen Leuten, und alle mochten ihn leiden. Es quälte ihn furchtbar, dass er so böse war und jede Nacht zur Bestie wurde. Aber er konnte nichts dagegen tun. Es passierte ihm einfach.
    Bei mir musste das so ähnlich sein, und Vater wusste das schon seit langem. Er stand neben mir auf der Straße, hatte alles gesehen und war sehr ernst. «Mach dir keine Sorgen», sagte er. «Von mir erfährt niemand etwas. Ich habe mir schon gedacht, dass es irgendwann so kommt. Erinnerst du dich, dass ich an deinem Geburtstag zu dir sagte, du müsstest doch Hunger haben wie ein Wolf? Da habe ich schon damit gerechnet, dass du zum Tier wirst und sie umbringst, bevor sie dir dein Leben wegfrißt.»
    An der Stelle wachte ich auf. Ich fühlte mich stark und so mächtig wie die Bestie, von der die Mädchen auf dem Schulhof gesprochen hatten. Nach ein paar Minuten fiel mir auf, dass mein Bett kalt wurde. Ich hatte es nass gemacht und schämte mich so, dass ich weinen musste. Vater wachte auf, kam zu mir, befühlte das Laken und meinte: «Das ist nicht schlimm, Cora. Das kann jedem mal passieren.»
    Mein Nachthemd und die Unterwäsche waren auch nass. Vater half mir, alles auszuziehen. Dann durfte ich mich in sein Bett legen, weil es im Zimmer so kalt war.
     
    Minutenlang fühlte Rudolf Grovian sich betrogen. Er wusste beim besten Willen nicht, wie er Cora Benders Verhalten einordnen sollte. Werner Hoß schien es auch nicht zu wissen und hing wie gebannt an ihren Lippen.
    Sie faselte mit verhangenem Blick und zuckenden Mundwinkeln von der Mauer im Hirn und dem Tier im Bauch, das bei der einen ein Krebs mit scharfen Scheren war und bei der anderen ein Wolf, der Kinder fraß und in sie hineinkroch. Immer wieder kam der Wolf in den Bauch des Kindes. Aber es tat nicht weh. Es konnte auch nicht wehtun, weil das Kind selbst das Tier war. – Es war ein furchtbares Kind. Es machte das Bett nass, um bei Vater zu sein. Es hatte den Erlöser erstochen, weil er nicht faulen wollte. Sechs- oder siebenmal hatte es das Zitronenmesser in ihn gestoßen! Und der Erlöser hatte das Kind angeschaut. Und er hatte gesagt: «Dies ist mein Blut, das für deine Sünden vergossen wird.» Und mit seinem Blut auf dem Gesicht war das Kind frei gewesen, erlöst von dem Fluch, den der Erzengel ausgesprochen hatte.
    Mit dem Blut des Erlösers auf Brust und Bauch hatte das Kind erkannt, Johnny war nie ein Engel gewesen. Sein Freund hatte ihn Böcki genannt. Er war Satan. Er führte das Weib durch die Schlange in Versuchung. Und als es am Boden lag, kam der Tiger. Im Bauch des Weibes war kein Platz mehr für ihn. Da stopfte er dem Weib seinen Schwanz in den Mund. Und als es ihn biss, schlug er zu.
    Er hatte Pranken aus Kristall, in denen

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