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Die Sünderin

Die Sünderin

Titel: Die Sünderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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sich das bunte Licht brach. Dann kam die Dunkelheit, das große Vergessen. Und das Vergessen war der Tod. Und der Tod war der Traum. Und der Traum lag hinter der Mauer im Hirn. Es war alles ganz einfach, man musste es nur wissen.
    Jetzt wusste sie es. Jetzt überschaute sie das alles und erkannte die Zusammenhänge. Jetzt wusste sie sogar, warum es so grausam gewesen war, wenn Gereon vorher noch eine Zigarette geraucht hatte. Es lag am Aschenbecher, der hatte das Licht ausgeschaltet und das Lied heraufbeschworen.
    Für das Aufnahmegerät sprach sie zu leise. Rudolf Grovian, der näher bei ihr war, verstand sie trotzdem und fühlte sich verdammt elend; hilflos, unsicher, überfordert und ein bisschen wütend. Er traute ihr durchaus zu, eine Wahnsinnsshow abzuziehen, um ihr Ziel zu erreichen, in Ruhe gelassen zu werden. Aber hundertprozentig sicher war er nicht.
    Dies ist mein Blut, dachte er und: Vater, vergib ihr! Ihm war nach einem Fluch. Der Erlöser und ein Zitronenmesser. Satan in der Gestalt eines Liebhabers. Religiöser Wahnsinn! Wenn zutraf, was sie über ihre Kindheit erzählt hatte, musste man das einkalkulieren und noch einiges mehr. Dann durfte sich niemand wundern, wenn sie als Nächstes erzählte, ein Engel des Herrn habe ihr den Befehl gegeben, Männer zu töten, die ihre Frauen in der Öffentlichkeit küssten.
    Er hob die Hand, wollte Hoß ein Zeichen geben, dass er das Verhör abbrach. Da schüttelte sie sich, richtete sich auf dem Stuhl auf und erklärte mit ruhiger Stimme und in normaler Lautstärke: «Entschuldigung. Ich war nicht ganz bei der Sache. Wir hatten zuletzt von Frankie gesprochen, nicht wahr? Frankie war der Name! Ich wusste nicht, woher ich ihn kannte. Aber es fiel mir gerade wieder ein. Der Mann in Köln nannte ihn so.»
    Sie nickte, als müsse sie sich das selbst bestätigen, etwas eifriger fuhr sie fort: «Jetzt weiß ich auch wieder, wie seine Freunde hießen. Nicht die Leute aus Köln, an die Namen kann ich mich im Moment wirklich nicht erinnern. Aber die beiden anderen, die zusammen mit uns im Keller waren. Ich weiß natürlich nicht, wie sie wirklich hießen. Ich weiß nur, wie sie sich nannten. Böcki und Tiger.»
    Sie lachte leise, hob verlegen die Achseln an und räumte ein: «Klingt blöd, ich weiß. Aber ich habe das so gehört. In Köln, als Frankie und der Mann über die beiden sprachen.»
    Rudolf Grovian fasste es nicht und wusste auch nicht, wie er es einschätzen sollte. Sie war wieder voll da. Und der neuerliche Wandel machte den Verdacht auf ein Schmierenstück zunichte. Welchen Grund sollte sie haben, einen gelungenen Auftritt abzubrechen? Also ein geistiger Ausrutscher. Und es mochte bereits der zweite an diesem Tag gewesen sein. Beim ersten war ihr nur zusätzlich die Hand mit dem Messer ausgerutscht.
    Er konnte sich nicht aufraffen, sie zu unterbrechen, wusste nicht mehr, was er glauben sollte oder durfte. Sie erzählte mit beherrschter Stimme von ein paar Tagen in Köln. Von dem verzweifelten Versuch, Horsti alias Johnny beziehungsweise Georg oder Frankie zurückzugewinnen. Wie er sie abserviert hatte, so kalt und gnadenlos. Wie seine Freunde, dieses junge Ehepaar, ihr halfen. Wirklich nette Leute, sehr verständnisvoll, rührend besorgt. Morgen fiel ihr der Name garantiert ein. Heute hatte sie es nicht so mit Namen, es war vielleicht verständlich, es war ein furchtbarer Tag gewesen.
    Es war ein paar Minuten nach Mitternacht, als das Telefon auf dem vorderen Schreibtisch klingelte. Beim ersten Ton zuckten sie alle drei zusammen. Sie sprach noch und unterbrach sich mitten im Satz. Werner Hoß nahm mit offensichtlicher Erleichterung den Hörer ab, sagte kurz: «Ja», lauschte ein paar Sekunden und warf Rudolf Grovian einen sonderbaren Blick zu.
     
    Sie war ebenfalls erleichtert über die Unterbrechung, schaute zu, wie der Chef nach dem Hörer griff. Eine kurze Verschnaufpause, die Bruchstücke sortieren. Es sah wüst aus in ihrem Hirn. Die Mauer brach. An manchen Stellen gab es schon breite Risse, da schimmerte etwas durch. Die weißeHalle mit den kleinen grünen Steinen im Fußboden, die Treppe und das Fleckenbild gehörten hinter die Mauer. Und sie waren nur der Auftakt gewesen. Am Ende der Treppe lag ein Raum, in dem buntes Licht flackerte.
    Hineingefallen war sie nicht, aber sie hatte einen Blick hinuntergeworfen und weißes Pulver auf einem Handrücken gesehen. Und den Biss in eine Zitrone. Eine Pranke aus Kristall. Böcki und Tiger. Es war grausam, und es

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