Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sünderin

Die Sünderin

Titel: Die Sünderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
Vom Netzwerk:
hast du zu viel mitbekommen, fürchte ich. Da wirfst du manchmal die Methoden durcheinander.»
    Mutter schaute ihn nur an. Er nickte vor sich hin, senkte den Kopf und betrachtete die Tischplatte. «Aber um auf deinen jetzigen Herrn zurückzukommen», sagte er nach einerWeile. «Hat er nicht gesagt: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder? Ich meine, er hätte mal so etwas gesagt. Und wenn du dich schon Punkt für Punkt an seine Worte hältst, dann such dir nicht nur die raus, die dir in den Kram passen. Kinder möchten auch mal etwas anderes als Kreuzzeichen schlagen. Wenn wir schon eins hergeben müssen, und irgendwann müssen wir, das weißt du so gut wie ich, dann will ich das andere so gesund und munter wie es nur eben geht. Ich hätte auf die Ärzte hören sollen, dann wäre es längst überstanden. Dann könntest du deinen Blödsinn auf dem Friedhof veranstalten.»
    Ich dachte, mir wäre das Herz stehen geblieben. Was er damit meinte, wusste ich genau. Und Magdalena wusste es auch. Sie war nicht dumm. Durch die häufigen Aufenthalte in der Klinik wusste sie eine Menge über ihre Krankheit und andere Dinge. Sie wusste viel mehr als ich. Sie konnte nicht lesen, nicht rechnen und nicht schreiben. Aber sie kannte Worte wie Elektrokardiogramm, Septumdefekt, Insuffizienz, Aortenaneurysma, Pathologie und Krematorium. Und sie wusste auch, was diese Worte bedeuteten.
    Sie schaute Vater an, drückte ihre Puppe an sich und spielte mit den dicken Fadenzöpfen. Es sah aus, als wollte sie ihm etwas sagen. Sie bewegte die Lippen, ein paar Mal tat sie das. Nur kam kein Ton heraus. Schließlich erkannte ich, dass sie nur ein Wort formte. Arschloch!
    Ob Vater es auch ablesen konnte, weiß ich nicht. Er atmete tief durch, dann meinte er etwas leiser: «Aber wo wir uns nun einmal so entschieden haben, sollten wir auch versuchen, es so erträglich wie möglich zu machen. Ein bisschen Freude geben, nicht immer nur fromme Sprüche. Davon hat sie nichts. Ich bin sicher, ihr hätte die Geschichte von Alice im Wunderland auch gefallen. Und Cora hätte ihr bestimmt etwas vorgelesen.»
    Mutter erklärte: «Sie muss jetzt ruhen. Es war ein anstrengenderTag für sie.» Sie hob Magdalena aus den Sesseln, nahm sie auf den Arm und trug sie zur Tür. Vater schaute ihnen nach und schüttelte den Kopf. Dann betrachtete er wieder die Tischplatte. «Das war meine Sünde», sagte er leise, «dass ich einmal nicht verzichten und die Zeit abwarten konnte. Hätte ich ihn doch besser in ein Mauseloch gesteckt.»
    Er hob den Kopf und schaute mich an. «Am besten, wir gehen ins Bett, was meinst du? Für dich wird es ohnehin Zeit, und ich bin auch müde.»
    Wir gingen nach oben. Mutter war noch mit Magdalena im Bad, wusch sie und putzte ihr die Zähne. Vater ging ins Schlafzimmer und holte sich die Sachen aus dem Schrank, die er am nächsten Morgen zur Arbeit anziehen wollte. Ich ging in unser Zimmer und zog das Nachthemd über. Als Mutter mit Magdalena aus dem Bad kam, ging ich hinüber, um mir ebenfalls die Zähne zu putzen.
    Mutter brachte Magdalena ins Bett und ging noch einmal hinunter, um zu beten. Vater kam zu mir, er war sehr bedrückt, stand neben dem Waschbecken und schaute zu, wie ich mir das Gesicht wusch und die Haare kämmte.
    Ich kam mit dem Kamm nicht durch. Manchmal zwirbelte ich meine Haare, wenn ich lange vor dem Altar knien musste. Vater half mir, die Knoten aufzulösen. Dann zog er meinen Kopf gegen seine Brust, hielt ihn fest. «Es tut mir so Leid», murmelte er. «Es tut mir so furchtbar Leid.»
    «Sei nicht traurig wegen dem Buch», sagte ich. «Ich mag gar nicht gerne lesen. Ich mag es lieber, wenn du mir von früher erzählst. Du hast mir schon lange nichts mehr erzählt von der Eisenbahn und der alten Schule und wie sie die Kirche gebaut haben.»
    «Ich habe dir viel zu viel davon erzählt», sagte er. «Nur nicht ans Heute rühren und nicht ans Gestern.»
    Er hielt meinen Kopf fest gegen seine Brust gepresst und strich mit einer Hand meinen Rücken hinunter. Dann stießer mich plötzlich weg, drehte sich zum Waschbecken und sagte: «Wird Zeit, dass das Frühjahr kommt. Da hat man Arbeit im Garten und keine Zeit mehr für dumme Gedanken.»
     
    Es war ein dummer Gedanke gewesen anzunehmen, Margret hätte sie verraten. Auf Margret konnte man sich verlassen, sie hatte ja auch selbst einiges zu verlieren. An der Angst, der Verwirrung und der Unsicherheit änderte die Erkenntnis nichts.
    Als Margret zusammen mit dem Chef den Raum

Weitere Kostenlose Bücher