Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sünderin

Die Sünderin

Titel: Die Sünderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
Vom Netzwerk:
verließ, kam der Mann im Sportanzug herein. Mit ihm blieb sie ein paar Minuten allein. Sie wünschte sich, er hätte mit ihr gesprochen. Nur zwei Sätze, um das tote Gefühl aus dem Kopf zu vertreiben.
    Seit sie aus der kurzen Bewusstlosigkeit erwacht war, war es so eng und dunkel da drin wie in einem Grab. Oder in einem Keller, in dem jemand das Licht ausgeschaltet hatte. Sie wusste, dass sie etwas Grauenhaftes gesehen und etwas Schreckliches gefühlt hatte. Aber was immer durch die Mauer im Hirn gebrochen war, es hatte sich wieder zurückgezogen. Nur das Gefühl war geblieben. Und Vaters Stimme spukte in der Dunkelheit herum.
    Sie sah ihn auf ihrem Bett sitzen. Abend für Abend war er zu ihr gekommen in den wenigen Wochen, die sie nach der Rückkehr im November damals noch daheim verbracht hatte. Sie hörte sein Flehen, die Stimme so alt und brüchig. «Sprich mit mir, Cora. Tu es nicht wie sie. Du musst mit mir reden. Sag mir, was passiert ist. Was immer du getan hast, ich werde dich nicht verurteilen und niemals ein Wort darüber verlieren, das verspreche ich dir. Ich habe gar nicht das Recht, dich zu verurteilen. Und Mutter hat es auch nicht. Jeder von uns hat etwas auf dem Gewissen. Jetzt sage ich dir, was ich getan habe und was Mutter getan hat. Und dann bist du an der Reihe. Du musst es mir sagen, Cora. Wenn man nicht darüberspricht, frisst es einen auf. Was ist passiert, Cora? Was hast du getan?»
    Nur zwei oder drei Sätze von dem Mann im Sportanzug, um Vaters Stimme zu übertönen. Aber er schaute sie nur an, sein Blick spiegelte Mitgefühl und Unsicherheit. Vielleicht wartete er darauf, dass sie etwas sagte. Als sie schwieg, machte er sich an dem Aufnahmegerät zu schaffen. Er nahm die Kassette heraus und legte sie zu den anderen, die im Laufe des Abends zusammengekommen waren.
    Kassetten! «Ich spule ein Stück vor», hatte die Frau am See gesagt. Und: «Das ist das Beste, was ihr je gehört habt.»
    Der Satz fuhr ihr wie ein Stromschlag durchs Hirn und fand irgendwo ein Echo. «Das ist das Beste, was ich je gehört habe», sagte Magdalena.
    Magdalena lag auf dem Bett und hielt ein winziges Kassettengerät in der Hand, von dem eine dünne Schnur zu dem Stöpsel in ihrem linken Ohr führte. Sie lachte leise, wiegte den Kopf, nur den Kopf, etwas anderes konnte sie nicht wiegen. Sie summte eine Melodie. «Bohemian Rhapsody   – Is this the real life?» Und Magdalena sagte: «Ich liebe das Stück. Eine Stimme hat dieser Freddy Mercury, einfach Wahnsinn. Ich wünsche mir, ich könnte es mal richtig laut hören. So wie in der Disco. Aber da bräuchten wir eine riesige Stereoanlage. Und wenn die Alte die zu Gesicht bekäme, sperrt sie uns auch noch den Strom ab. Hast du den Hauptwasserhahn gefunden?»
    Der Chef kam zurück und fragte: «Wie fühlen Sie sich, Frau Bender?»
    Sie war noch bei Magdalena und sagte: «Leider nicht. Ich hole einen Eimer von Grit, zum Waschen reicht das.» Dann erst wurde ihr bewusst, was der Chef gefragt hatte, und sie sagte rasch: «Danke, ausgezeichnet.»
    Sie war überzeugt, dass es nun weiterging mit den Fragen. Daran erinnerte sie sich noch, dass er zuletzt hatte wissenwollen, wo sie die Namen Frankie, Böcki und Tiger gehört hatte. Bei Frankie war es einfach. Am See. Und das wollte sie ihm sagen.
    Es ging nur mit der Wahrheit. Lügen machten alles schlimmer. Mutter hatte es wieder und wieder gepredigt. Mutter hatte immer Recht gehabt, das war jetzt endgültig bewiesen. Wer den Herrn erzürnte, den strafte er. Dem einen verwirrte er die Sprache, dem anderen den Geist.
    Die Wahrheit! Die reine Wahrheit! Nichts als die Wahrheit! Ich kannte den Mann nicht. Ich kannte ihn wirklich nicht, weder seinen Namen, noch sein Gesicht! Ich weiß nicht, warum ich ihn töten musste. Ich weiß nur, ich musste es tun!
    Doch der Chef machte keine Anstalten, tauschte einen Blick mit dem Mann im Sportanzug und sagte in besorgtem Ton etwas von Ruhe, die sie alle bitter nötig hätten. Als er es aussprach, fühlte sie die Müdigkeit wie Blei in den Gliedern. Gleichzeitig hatte sie Angst, allein gelassen zu werden mit den Erinnerungsfetzen, die sich ihr aufdrängten, die wie schmutzige alte Putzlappen die Seele scheuerten. Alles im Innern wurde steif und hart. Sie kam kaum vom Stuhl in die Höhe und hatte nicht mehr die Energie zu protestieren.
    Der Chef sorgte dafür, dass sie fortgebracht wurde. Der freundliche Berrenrath und sein junger Kollege nahmen sie mit. Dann lag sie auf einem schmalen

Weitere Kostenlose Bücher