Die Sünderin
ich nachgegeben.»
Noch einmal lachte sie auf, es war eher ein Schluchzen. Ihr Blick irrte wie gehetzt durch den kleinen Raum, mehrfach strich sie fahrig über ihre Stirn. «Wissen Sie, wie ich mich gefühlt habe? Da liege ich auf dem Boden und lasse mich von den beiden Typen besteigen. Und diese Schlampe sitzt mit ihm auf der Couch und verlangt, dass ich nochmal und diesmal mit beiden gleichzeitig …» Sie würgte und brauchte ein paar Sekunden, ehe sie weitersprechen konnte. «Sie sagte: Verdirb uns nicht den Spaß, Schätzchen. Und dann sagte sie zu einem von den beiden: Gib ihr eine Prise, das entspannt.»
Sie schüttelte sich, dann fand ihr Blick endlich den Weg zu seinem Gesicht. Ihre Stimme klang wieder fest und beherrscht. «Sie haben mich festgehalten und mit Stoff voll gepumpt. Ich dachte, sie wollten mich umbringen mit dem Zeug. Ich habe mich gewehrt. Da haben sie mich geschlagen und getreten, auf den Kopf und in den Bauch. Und dann fingich plötzlich an zu bluten. Da haben sie wohl Angst bekommen und sind alle abgehauen. Mich haben sie liegen lassen. Irgendwie habe ich es geschafft, auf die Straße zu kommen. Und da bin ich dann vor das Auto gelaufen. Und mein einziges Glück bei der Sache war: der Mann, der mich anfuhr, war Arzt. Er sah, dass ich eine Fehlgeburt hatte. Er sah auch, dass ich high war. Aber das reicht jetzt wirklich. Als Nächstes fragen Sie doch wieder nach seinem Namen. Und den werden Sie von mir nie erfahren.»
«Warum nicht, Frau Bender? Der Mann hat sich doch in keiner Weise strafbar gemacht. Und so wie es im Moment aussieht, wäre er der Einzige, der Ihre Geschichte bestätigen könnte.»
Sie schaute wieder an ihm vorbei zur Wand und murmelte: «Das wird er bestimmt nicht. Er wird behaupten, dass er mich nie gesehen hat.»
«Warum sollte er das behaupten?»
«Weil er ein Schwein war. Er hat mich angefasst, da wusste ich noch gar nicht, worum es ging. Da dachte ich noch, er will mich nur untersuchen. Einmal wurde ich nachts wach, da onanierte er neben mir. Und vorher hatte er mich befummelt. Wollen Sie noch mehr wissen?»
Er sah, wie sie die Hand um das kleine Päckchen presste, wie ihre Augen zu glänzen begannen. «Er war ein geiler alter Bock», stieß sie hervor. «Wenn er im Zimmer war, roch alles nach Schweiß. Ich sage Ihnen was! Wenn ich diesem Schwein jemals wieder ins Gesicht sehen muss, und das muss ich, wenn ich seinen Namen nenne, ich werde ihn ebenso abstechen wie Frankie. Und wenn der Gerichtssaal voller Polizisten steht, niemand wird mich daran hindern. Und jetzt lassen Sie mich in Ruhe.»
Sie drehte sich um, legte einen Arm gegen die Wand und verbarg ihr Gesicht darin. Sie weinte. Es war das erste Mal, dass er sie weinen sah. Es war ein Reflex, dass er ihr die Handauf die Schulter legte, ein Bedürfnis, etwas Tröstliches zu tun oder zu sagen. Sie schüttelte seine Hand ab und schluchzte: «Hauen Sie bloß ab, Mensch. Sie haben keine Ahnung, was passiert, wenn ich mit Ihnen rede. Es kommt alles zurück. Es wird alles lebendig. Ich halte das nicht aus. Jetzt gehen Sie doch. Verschwinden Sie. Und lassen Sie meinen Vater in Ruhe. Er ist ein alter Mann, er ist krank, er ist … Er hat mir nie etwas getan. Er konnte doch nichts dafür, dass er in seinem Alter noch Bedürfnisse hatte. Es war alles nur meine Schuld.»
9. Kapitel
Es waren die Süßigkeiten. Darüber hatte ich nicht nachgedacht, wenn ich mich voll stopfte, dass sich das Zeug irgendwo niederschlagen musste. Als ich dreizehn war, wurde es offensichtlich. Ich hatte Fett angesetzt. Babyspeck, sagte Margret und zog mich damit auf, wenn sie zu Besuch kam. Ich wollte nicht dick sein und versuchte, das Zeug wegzulassen. Nur war das nicht so einfach, weil ich nicht mit dem Klauen aufhören konnte.
Beim Geld wurden die Beträge immer größer. Manchmal saß ich im Schuppen und zählte es. Dann stellte ich mir vor, dass ich damit eines Tages weggehen könnte, weit weg. Ich weiß noch, als ich eintausendzweihundertachtundsiebzig Mark zusammenhatte, nahm ich das Kleingeld, ging zum Bahnhof und fragte, was eine Fahrkarte nach Hamburg kostet. «Ich will sie jetzt nicht kaufen», sagte ich. «Ich will es nur wissen.»
Der Mann am Schalter fragte: «Einfach oder retour?»
«Einfach», sagte ich. «Ich komme nie zurück. Und können Sie mir auch sagen, was eine Fahrt auf einem Schiff kostet?»
Er lachte: «Kommt darauf an, wohin man will. Fliegen ist schneller. Allerdings muss man für jedes Kilo
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