Die Sünderin
Ausdruck fand ich ordinär. Und dass mein Vater es tat, nachdem ich mich entschlossen hatte, ihn als harmlosen alten Mann zu sehen, war ungeheuerlich. Und noch ungeheuerlicher war, ich konnte nicht anders, ich musste ihm zusehen. Und am allerschlimmsten war: er musste mich bemerkt haben, wo ich doch die Tür geöffnet und das Licht eingeschaltet hatte. Aber er machte einfach weiter. Und sein Gesicht dabei, die Töne, die er von sich gab, es war abstoßend.
Plötzlich fuhr er zu mir herum. «Mach, dass du ins Bett kommst!», brüllte er. «Was hast du hier herumzugeistern wie ein Gespenst?»
Ich schrie zurück: «Ich muss mal!»
«Dann pinkel ins Bett», brüllte er. «Das machst du ja sonst auch.»
Er war so laut, dass er zwangsläufig Mutter und Magdalena aufwecken musste. Aber das kümmerte ihn nicht. Ich fand es gemein von ihm, dass er es durchs ganze Haus schrie. Ich konnte doch nichts dafür, dass ich ins Bett machte. Er sagte immer, dass ich nichts dafür könne. «Das sind die Tränen der Seele», sagte er. Und danach ging er ins Bad. Vielleicht aus demselben Grund wie in dieser Nacht.
Ich lief zurück ins Zimmer und warf mich aufs Bett. Dass ich mal aufs Klo musste, hatte ich vergessen. Ein paar Minuten später kam er mir nach. Er setzte sich zu mir und strich mir über den Kopf. Er hatte sich die Hände gewaschen. Ich roch die Seife.
Er starrte mich an, als wolle er mich schlagen. Stattdessen fing er an zu weinen und stammelte: «Es tut mir Leid.» Er heulte wie ein Dreijähriger, der sich das Knie aufgeschlagen hat. Das fand ich beinahe noch widerlicher als das andere. Nachdem er sich wieder beruhigt hatte, meinte er: «Ich hoffe, dass du es verstehst, wenn du älter wirst. Man kommt nicht gegen die Natur an. Was soll ich denn machen? Es gibt Frauen, die lassen sich dafür bezahlen. Aber dann ist es nur ein Geschäft. Wenn ich allein bin, kann ich mir wenigstens vorstellen, es wäre eine bei mir, die mich liebt. Jeder Mensch braucht das Gefühl, dass er geliebt wird, auch ein alter.»
«Ich hatte dich früher sehr lieb», sagte ich und hätte am liebsten auch geheult.
Wie ich befürchtet hatte, waren Mutter und Magdalena von dem Lärm aufgewacht. Morgens beim Frühstück schaute Mutter mich zwar komisch an. Aber sie fragte nicht, was los gewesen wäre. Als ich mittags aus der Schule kam, wollte Magdalena es wissen und drängte jedes Mal, wenn Mutter die Küche verließ: «Erzähl doch! Was hat er gemacht? Ist er dir jetzt doch mit dem Finger reingegangen? Oder hat er ihn dir richtig reingesteckt?»
Ich schüttelte den Kopf. Was wirklich passiert war, mochteich ihr nicht erzählen. Das war auch nicht nötig. Magdalena konnte sich denken, was ich gesehen hatte. Sie wusste schon lange, warum er nachts ins Bad schlich.
Vater hatte oft an die Tür nebenan geklopft und zu Mutter gesagt, dass er es jetzt wieder so mache wie der Typ aus der Bibel, der seinen Samen auf die Erde spritzte. Ob sie es mit ihrem Gewissen vereinbaren könne, dass er ständig auf diese Weise sündigen müsse.
Magdalena amüsierte sich darüber. «Er ist noch ziemlich munter, unser alter Knabe. Aber das sind viele in dem Alter. Die Alten sind oft die Schlimmsten, das kannst du mir glauben. Vor allem, wenn sie nicht können, wie sie wollen. Jetzt erzähl doch mal. Hast du wirklich genau gesehen, wie er es gemacht hat?»
Ich konnte nicht darüber sprechen. Tagelang war ich völlig durcheinander. Und nachts erst! Vater kam ein paar Tage lang sehr spät heim. Meist lag ich schon eine Weile im Bett und konnte nicht schlafen. Manchmal dachte ich, ich sollte ihm vielleicht etwas Nettes sagen, wenn er endlich käme. Dass ich ihn immer noch lieb hätte. Ich hatte ihn schon so oft wegen anderer Dinge belogen, es wäre nicht darauf angekommen.
Aber wenn ich seine Schritte auf der Treppe hörte, wenn er die Türklinke drückte, merkte ich, wie mein Bauch hart wurde, kalt und steif wie ein Stein, gegen den man nicht anatmen kann. Dann konnte ich nichts sagen. Dann tat ich so, als ob ich schliefe und lauerte darauf, was er tat. Ob er noch einmal aufstand, zu mir kam oder ins Bad ging.
Ich wünschte mir, es könnte noch einmal so sein wie früher, wo ich sogar in seinem Bett geschlafen hatte. Wo er nichts weiter gewesen war als mein Vater. Plötzlich war er das nicht mehr, er war nur noch ein widerlicher alter Mann, der sich selbst befriedigte. Und die Jungs in der Schule sagten, dabei müsse man an nackte Weiber denken. Woran Vater gedacht
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