Die Sünderin
Übergewicht extra zahlen.»
Übergewicht, dachte ich, als ich vom Schalter wegging. Und mit den acht Mark ging ich in die Eisdiele und schlang einen großen Fruchtbecher mit Schlagsahne in mich hinein. Anschließend ging ich aufs Klo und steckte mir einen Finger in den Hals. Das machte ich von da an jedes Mal, wenn ich etwas Süßes gegessen hatte.
Magdalena meinte, ich müsse unbedingt damit aufhören.«Das ist eine Krankheit», sagte sie. «Da sind schon welche dran gestorben. Kauf dir lieber andere Sachen für das Geld.» Sie dachte, es sei nur das Taschengeld, das ich von Vater bekam. «Schicke Klamotten», sagte sie. «Die kannst du auch im Schuppen verstecken. Dann ziehst du dich um, wenn du rausgehst und bevor du wieder reinkommst. Wenn du etwas Schickes zum Anziehen hast, das wirst du sehen, dann kannst du dich auch wieder leiden.»
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Kleider etwas änderten. Ich war viel zu dick, fand mich hässlich und machte immer noch das Bett nass. Nicht mehr jede Nacht, aber oft, obwohl ich längst nicht mehr von dem Wolf träumte. Ich wurde einfach nicht wach, wenn ich mal musste.
Meist merkte ich erst, dass wieder alles feucht war, wenn Vater sich darum kümmerte. Er stand oft auf, zwei-, dreimal die Nacht. Und sein erster Schritt war immer der zu meinem Bett. Und sein erster Griff war immer unter meine Decke.
Manchmal wunderte ich mich, dass er so geduldig mit mir war, dass er nie schimpfte, nie ein Wörtchen darüber verlor. Mein Bett stank, unser ganzes Zimmer stank, weil meine Matratze so oft nass und nie richtig trocken wurde. Im Sommer stellte ich sie tagsüber hochkant vors Fenster. Und dann kaufte ich mir ein Gummituch.
Irgendwie wurde ich nur außen erwachsen, aber da gründlich. Ich bekam einen Busen und Haare unter den Achseln, unten auch. Wenn Vater zur gleichen Zeit wie ich ins Bett ging, schämte ich mich. Ich mochte mich nicht mehr ausziehen, wenn er dabei war. Er merkte das nicht. Wenn ich ins Bad ging, um mich dort auszuziehen, kam er hinterher, weil er mir noch etwas erzählen wollte. Wenn auf der Arbeit etwas Besonderes gewesen war oder mit dem Auto. Mit Mutter konnte er nicht über solche Dinge reden, da besprach er eben alles mit mir. Das fand ich auch toll, aber dass er mir beim Ausziehen zuschaute, war mir nicht recht.
Dann bekam ich auch noch meine Periode. Ich wusste nicht viel über das, was mit mir passierte. Natürlich war ich aufgeklärt, das war in der Schule geschehen. Die rein biologische Seite, wie man schwanger wird. Margret hatte auch mal mit mir darüber gesprochen. Aber sie hatte sich im Großen und Ganzen nur vergewissert, dass mich die erste Blutung nicht unvorbereitet traf.
Als Margret mit mir darüber sprach, wusste ich längst, was auf mich zukam. Mutter hatte mich gründlich instruiert. Dass ich mich hüten müsse, einem Mann das Tor der Hölle zu öffnen. Dass mich nun bald der Fluch Evas träfe. Ein Fluch war es auch.
Ich hatte scheußliche Krämpfe, wenn die Blutung einsetzte. Schon Tage vorher war ich nervös, ich fühlte, dass es kam, und hätte mich am liebsten in eine Ecke verkrochen. Aber ich musste zur Schule. Und ich mochte mich nicht vom Sport befreien lassen, damit es nicht auffiel.
Ich fragte Grit Adigar, was ich tun könnte, wenn wir Schwimmen hätten. Das ging immer abwechselnd, die eine Woche Sport in der Turnhalle, die zweite Woche Schwimmen. Ich konnte doch nicht mit einer Binde ins Wasser. Grit schlug vor, ich solle Tampons benutzen. Sie erklärte mir, wie man damit umging. Ich fand es widerlich, aber ich tat es und wusch mir danach die Hände mit heißem Wasser, bis sie dick und rot waren.
Die anderen Mädchen in meiner Klasse waren begeistert von der Sache. Sie hielten sich für erwachsen und gaben damit an. Sie sagten es auch, wenn Jungs dabei waren. «Ich habe gerade meine Tage.» Die Jungs schien das anzumachen.
Dann passierte das mit der Zeitung. Ich hatte sie auf dem Schulhof bei einem Mädchen gesehen. «Bravo, die Zeitschrift für junge Leute». Natürlich musste ich sie sofort haben. Ich versteckte sie im Schuppen. Und nachmittags, als Magdalena ruhen musste, las ich darin. Es waren eine Menge Artikel, diemich interessierten. Über Musik, Sänger und Rockgruppen, über Schauspieler und wie man sich richtig schminkt. Es waren auch Briefe abgedruckt, von Leuten, die einen Rat haben wollten.
Da war ein Brief von einem Mädchen, das war nur ein Jahr älter als ich, es hatte aber schon einen Freund. Er
Weitere Kostenlose Bücher