Die Sünderinnen (German Edition)
sie aus dem Zimmer. Für einen Augenblick überlegte er, ihr zu folgen, doch er kannte sie gut genug um zu wissen, dass sie ihre Tränen lieber vor ihm verbarg. Seufzend stand er auf, lief zum Schrank und holte eine Flasche Wodka heraus. Die Flasche war so gut wie leer. Obwohl er keinen warmen Wodka mochte, hätte er sich gerne einen Doppelten eingeschenkt.
Unschlüssig starrte er auf die Flasche, dann stellte er sie wieder in den Schrank zurück. Wozu gab es die Bude an der nächsten Ecke? Früher hätte er dazu Kiosk oder Trinkhalle gesagt, aber im Ruhrpott hießen die fast rund um die Uhr geöffneten Miniläden schlicht Buden.
Eilig zog er sich den Mantel über, dann verließ er das Haus. Draußen pfiff ihm eisiger Wind entgegen, und er schlug den Mantelkragen hoch. Zwei Straßen weiter blieb er vor einem fast normalen Wohnhaus stehen. Nur die Flaschen, Konservendosen und Bonbonnieren im beleuchteten Fenster mussten auf ortsfremde Passanten befremdlich wirken. Weil er niemanden hinter der Scheibe entdecken konnte, drückte er auf einen kleinen Klingelknopf neben dem Fenster. Augenblicklich erschien eine rundliche Frau in Kittelschürze. Von Marianne wusste er, dass die Besitzerin der Bude Guste Schewinski hieß.
Freundlich lächelnd zog Guste Schewinski das Schiebefenster auf. »Scheiß Wetter, wat«, begrüßte sie ihn und sah ihn erwartungsvoll an.
»Eine Flasche Schnaps bitte«, erwiderte Pielkötter und kam sich wie ein Landstreicher vor. Jedenfalls hatte er bisher noch niemals Hochprozentiges an der Bude gekauft.
»Wat für`n Fusel soll et denn sein?«, fragte Guste Schewinski, als sei sein Anliegen um fast einundzwanzig Uhr das Normalste auf der Welt. »Nen einfachen Klaren oder lieber nen Maria Krönken?«
»Haben Sie auch Wodka? Kalten Wodka?«
»Geht klar, Mann. Allerdings nicht ganz kalt.«
»Nehme ihn trotzdem«, erklärte Pielkötter und zog seine Börse aus der Hose.
Nachdem er gezahlt hatte, zog die Frau die Scheibe zu und verschwand im hinteren Teil des Gebäudes. Wahrscheinlich setzte sie sich jetzt wieder ins Wohnzimmer vor die Glotze, jedenfalls bis die nächste Kundschaft sie aus der Sendung riss. Wie ein Verdurstender stürzte Pielkötter zu Hause den nicht gerade kalten Wodka hinunter. Anschließend machte er es sich im Sessel bequem und drückte auf die Fernbedienung der Flimmerkiste.
Mit müden Augen und heruntergezogenen Mundwinkeln saß Pielkötter an seinem Schreibtisch. Er fühlte sich erbärmlich. Wahrscheinlich hätte er die Flasche Wodka doch besser ins Eisfach stellen sollen. Immerhin kam Wodka aus der ehemaligen Sowjetunion, wo es im Winter extrem kalt werden konnte. Pielkötter tippte auf Sibirien, aber so genau wusste er das nicht. Im Übrigen hätte dieses Wissen seinem ausgeprägten Kater keinen Abbruch getan. Warum war er nicht einfach ins Bett gegangen, bevor er die Flasche halb geleert hatte? Die Antwort auf die Frage schien seine Kopfschmerzen noch zu verstärken. Irgendwie hatte ihm davor gegraut, wortlos neben seiner Frau zu liegen, mit dem Bewusstsein, dass sie ebenso wenig schlafen konnte wie er. Im Laufe der Nacht war er irgendwann vor dem Fernseher eingenickt und erst aufgewacht, nachdem eindeutige Angebote über die Mattscheibe geflimmert waren. Als er schließlich ins Bett gestiefelt war, hatte Marianne immerhin schon geschlafen. Schwacher Trost und teuer erkauft mit Übelkeit, die langsam in ihm hochstieg. Während er überlegte, wie er den heutigen Arbeitstag überstehen sollte, riss jemand die Tür auf.
»Schon gehört?«, fragte Barnowski statt einer Begrüßung.
Schöne Sitten, wenn der Untergebene nicht einmal einen guten Morgen für seinen Chef erübrigen konnte, obwohl er gerade heute gute Wünsche bitter nötig hatte.
»Unser Täter hat wieder zugeschlagen.«
»Welcher Täter?«, fragte Pielkötter und rieb sich den schmerzenden Kopf. »Wir verkehren doch fast nur mit Tätern.«
Insgeheim ahnte er aber die drohende Katastrophe. Bestimmt hatte sich dieser wahnsinnige Frauenmörder ein neues Opfer gesucht.
»Chef, Sie sehen erbärmlich aus.«
Warum spannte ihn Barnowski auf die Folter, wenn er doch seinen miesen Zustand erkannte? Müde deutete Pielkötter auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. Barnowski setzte sich und schlug die Beine übereinander, als würde er sich auf einen Plausch in einer gemütlichen Bar einstellen.
»Also, der Mörder von Barbara Winkler war wieder am Werk«, erklärte Barnowski mit unerklärlicher Genugtuung in der
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