Die Sünderinnen (German Edition)
sein«, setzte er das Gespräch mit Sebastian fort.
»Ich finde es sehr befriedigend, Menschen zu helfen«, erwiderte der Angesprochene.
»Ja schon, aber manchmal kann man nicht helfen. Zudem kann ich nicht gut Blut sehen.«
Irritiert schaute Sebastian zu Jan Hendrik. Er konnte sich kaum vorstellen, dass Janiks Vater dieses Geständnis ernst gemeint hatte.
»Ja, das stimmt«, erklärte Marianne, »Blut ist nichts für ihn.«
»Bei der Mordkommission haben Sie doch auch mit Blut zu tun.«
»Das schon«, erklärte Pielkötter und schenkte sich jetzt doch noch etwas von dem Rotwein ein. »Aber die Menschen leben nicht mehr. Wenn ich auftauche, ist das Blut meist schon getrocknet.«
Als Pielkötter sein Glas zum Mund führte, klingelte sein Handy. Seufzend nahm er den Anruf entgegen. Wahrscheinlich rächten sich jetzt seine Gedanken. Während er schweigend zuhörte, beobachtete ihn die Runde. Marianne bemerkte zuerst, dass er eine Spur blasser wurde.
»Schlechte Neuigkeiten?«, fragte sie, nachdem er aufgelegt hatte.
»Äußerst schlechte«, antwortete er sichtlich erregt. »Es hätte kaum schlimmer kommen können. Dieser wahnsinnige Frauenmörder hat wieder zugeschlagen.«
Marianne unterdrückte einen spitzen Schrei. Gleichzeitig mit ihrem Mann sprang sie auf. »Musst du sofort los?«
»Vielleicht ist das Blut dann noch nicht getrocknet«, erwiderte er in einem Anflug von Sarkasmus.
Eilig stürzte er in die Diele. Wenige Sekunden später tauchte er noch einmal im Türrahmen auf.
»Tut mir wirklich leid«, erklärte er. »Vielleicht können wir das zu einem besseren Zeitpunkt wiederholen.«
Seltsamerweise ließ er die familiäre Runde wirklich nicht gerne allein zurück, aber das war jetzt seine geringste Sorge. Staatsanwaltschaft, Vorgesetzte und die Öffentlichkeit saßen ihm ohnehin spätestens seit dem Mord an Eva Maria Garden verstärkt im Nacken. Dieser dritte Fall hatte ihm gerade noch gefehlt. Wenn er nicht bald mit einer heißen Spur aufwartete, würde man ihn in der Luft zerreißen.
Als er auf die sogenannte »Achse« fuhr, diese Stadtautobahn, die den Duisburger Norden mit dem Süden verband, wäre er um ein Haar auf einen roten VW Golf aufgefahren, der auf der Beschleunigungsspur plötzlich bremste. Entweder ein Kleintierschützer oder besoffen, folgerte Pielkötter. Sobald beide Fahrzeuge die Beschleunigungsspur hinter sich gelassen hatten, überholte Pielkötter den Wagen. Mehrere Blicke in den Rückspiegel überzeugten ihn davon, dass der Fahrer nicht in Schlangenlinien fuhr. Ansonsten herrschte um diese Zeit kaum Verkehr.
Mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit rauschte Pielkötter an den Ruhrorter Schiffsladeplätzen, dem neu herausgeputzten Innenhafen nahe der City und dem Hauptbahnhof vorbei. Nachdem er die Stadtautobahn verlassen hatte, lauschte er konzentriert der Stimme aus seinem Navigationsgerät, die ihn nach Mündelheim durchlotste. Soweit er sich erinnern konnte, war er noch niemals hier gewesen. Friedlicher Ort, dachte er voller Sarkasmus.
Als er vor dem Gebäudekomplex anhielt, in dem das Opfer wohnte, standen bereits zwei Polizeiwagen dort. Wahrscheinlich waren die Männer von der Spurensicherung auch schon am Werk. Die Haustür stand offen, so dass er mühelos eintreten konnte. Er war kurz versucht, den Aufzug zu nehmen, aber dann fiel ihm ein, dass der Beamte am Telefon diesen als Tatort angegeben hatte.
Wie vom Donner gerührt blieb er plötzlich stehen. Der Polizist hatte ihm auch den Namen der Toten genannt, doch erst jetzt brachte er ihn in einen Zusammenhang. Marion Karsting. Das war doch die Frau des Staatsanwalts, die im Wald überfallen worden war. Sollte Ilona Schlomberger tatsächlich Recht behalten? Ausgerechnet Marion Karsting, dieses Opfer hatte ihm gerade noch gefehlt. Dabei hatte er weniger die Schlomberger im Blick als ihren Ehemann. Der würde jetzt sicher den trauernden Hinterbliebenen mimen und bei der Ermittlung zusätzlichen Druck erzeugen.
Während er die Treppen in die Tiefgarage hinunterstieg, kam ihm ein jüngerer, ihm unbekannter Streifenpolizist entgegen. »Handelt es sich bei dem Opfer wirklich um Marion Karsting?«, fragte Pielkötter, als wollte er einen letzten Rettungsanker auswerfen.
»Tut mir leid«, erwiderte der junge Beamte. »Ich darf keine Auskunft erteilen.«
Anscheinend kannte ihn der junge Mann nicht, dafür aber die Dienstvorschrift. Für einen Moment war Pielkötter versucht, seine Dienstmarke zu zücken, aber dann lief er
Weitere Kostenlose Bücher