Die Sünderinnen (German Edition)
entgegen seiner Absicht ja doch hingelegt. So freundlich wie möglich stellte sich Pielkötter vor und zeigte ausnahmsweise sogar seine Dienstmarke, die ihn immer an alte Hundemarken erinnerte.
Mit glasigen Augen öffnete Thomas Gutenberg die Tür und führte ihn durch eine schmale Diele in einen gemütlichen, wenn auch ziemlich unaufgeräumten Wohnraum. Pielkötter registrierte sofort, dass der Telefonhörer neben dem Apparat auf einem länglichen Glastischchen lag.
»Ich habe gerade mit meinem Bruder telefoniert«, erklärte Gutenberg. »Nach diesem schrecklichen Anblick musste ich einfach mit jemandem reden. Am liebsten wäre ich zu ihm gefahren. Aber ich wusste ja, dass Sie vorbeikommen wollten.«
Während er zu dem Glastischchen lief, schwankte er etwas. »Benno, ich muss Schluss machen, die Polizei ist jetzt hier.«
Nach zwei erfolglosen Anläufen schaffte es Gutenberg endlich, den Hörer korrekt auf die Gabel zu legen. Während er in einem Sessel genau gegenüber Pielkötter Platz nahm, schaute sich dieser neugierig in dem Raum um. Für einen alleinstehenden Mann empfand er das Zimmer als auffallend wohnlich eingerichtet. An den Wänden hingen einige interessante Fotografien und auf dem Sofa stapelten sich zahlreiche, bunte Kissen. Nur die halbleere Flasche Scotch, die auf dem Tisch stand, passte eher zu einem Junggesellen. Oder einem, der gerade eine ermordete Frau gefunden hat.
»Möchten Sie auch einen?«, fragte Gutenberg mit glasigen Augen. Offensichtlich hatte er die Flasche heute Abend frisch angebrochen.
»Danke, nicht im Dienst«, brummte Pielkötter.
»Flüssige Nervennahrung«, erklärte Gutenberg, während er sich einen weiteren Whisky einschüttete und direkt hinunterstürzte.
Am liebsten hätte Pielkötter protestiert. Welchen Wert hatte die Aussage eines Besoffenen? Trotzdem konnte er den Mann verstehen. Für Otto Normalverbraucher musste der Anblick der übel zugerichteten Leiche wahrlich schockierend wirken.
»Na, dann erzählen Sie einfach, wie Ihr Abend so abgelaufen ist«, forderte Pielkötter sein Gegenüber auf, ehe der auf die Idee kam, sich noch einen Scotch einzuschenken.
»Schon bevor ich Frau Karsting gefunden habe?«
»Den ganzen Abend.«
Pielkötter konnte förmlich sehen, wie es hinter Gutenbergs Stirn arbeitete. Wahrscheinlich hinderten ihn einige Promille daran, die Ereignisse möglichst schnell in der richtigen Reihenfolge zu präsentieren.
»Also, so gegen sieben bin ich unter die Dusche. Nicht lange. Ich dusche nie lange. Wasser ist ja ein kostbarer Rohstoff. Sagt man doch.«
Pielkötter verdrehte im Geiste die Augen, wollte ihn aber nicht unterbrechen.
»Um halb acht etwa bin ich dann aus dem Haus«, erklärte Gutenberg. »Da habe ich Marion Karsting übrigens das letzte Mal gesehen. Ich meine lebend. Wir sind uns im Treppenhaus begegnet. Sie sah so fröhlich aus.«
Ohne Vorwarnung schlug Gutenberg die Hände vor sein Gesicht und schluchzte. Das hatte Pielkötter gerade noch gefehlt. Immerhin war er feinfühlig genug, um in Ruhe abzuwarten, bis der Mann sich wieder etwas gefangen hatte.
»Ich habe sie noch gefragt, warum sie so gute Laune hätte. Sie hat mir erzählt, dass sie bei einer Arbeitskollegin eingeladen sei. Furchtbar, nicht wahr? Da freut sich die Frau auf einen netten Abend und wenige Stunden später ist sie tot.«
»Quasi haben Sie mit ihr zusammen das Haus verlassen«, stellte Pielkötter fest. »So gegen halb acht.«
»Genau. Ich habe gesehen, wie sie in ihren Wagen gestiegen ist. Habe ihr noch zugewinkt.«
Gutenberg zog ein nicht mehr ganz frisches Herrentaschentuch aus seiner Hosentasche und wischte sich über die Augen. Er hätte wirklich nicht so viel trinken dürfen, überlegte Pielkötter. Manche Menschen reagierten dann wehleidig.
»Und wo haben Sie den Abend verbracht?«, fragte Pielkötter, um das Gespräch wieder auf eine sachliche Ebene zu leiten.
»Ich war in einer Kneipe in Neudorf«, antwortete Gutenberg wieder gefasst. »Habe mich mit meinen Kumpels getroffen. Wir spielen jeden Mittwoch Skat.«
»Wann sind Sie dort aufgebrochen?«
»Ich schätze gegen halb zwölf. Kurz vor zwölf habe ich sie dann gefunden. Als ich in die Garage fuhr, war noch alles wie sonst. Ich bin ausgestiegen und zum Aufzug gelaufen. Die Tür war geschlossen. Ich habe auf den Knopf gedrückt und mich noch gewundert, weil sie sofort aufging.«
»Wieso haben Sie sich gewundert?«, fragte Pielkötter sichtlich interessiert.
»Na, ja, um diese Uhrzeit
Weitere Kostenlose Bücher