Die Sünderinnen (German Edition)
Küchentür auf. Ohne Berührungsängste lief Sebastian auf sie zu und umarmte sie. Mit gemischten Gefühlen beobachtete Pielkötter die Szene. Diese intime Begrüßung bestätigte nur seine Vermutung. Offensichtlich funktionierte sein kriminalistischer Spürsinn auch im privaten Bereich. Von Sebastians Arm wechselte Marianne direkt an Jan Hendriks Brust. Pielkötter musste daran denken, dass sein Sohn schon immer ein besseres Verhältnis zu seiner Mutter gehabt hatte als zu ihm. Er hielt weiter die Flaschen in den Händen, mit denen er momentan sowieso nichts anzufangen wusste. Seltsamerweise fühlte er sich in seinem eigenen Reich wie eine Art Zaungast. Seine Anspannung löste sich jedoch teilweise, als sich der Trupp in Richtung Esstisch in Bewegung setzte. Während die beiden jungen Männer Platz nahmen und Marianne wieder in der Küche verschwand, suchte Pielkötter einen Korkenzieher.
»Rot oder weiß?«, fragte er immer noch unsicher.
»Rot, wegen der Phenole«, antwortete Sebastian.
»Und für mich ein Bier«, ergänzte Jan Hendrik. »Aber mach dir keine Umstände. Ich weiß ja noch, wo es steht.«
Pielkötter beschäftigte sich nur zu gern eine Weile mit dem Entkorken der Weinflasche, auch wenn er sonst selten Berührungsängste kannte. Im Beruf fiel ihm jeder Kontakt leicht, aber das war natürlich etwas ganz anderes. Jedenfalls war er froh, als sein Sohn mit einer Fasche Bier zurückkehrte.
»Kinder, das Essen ist fertig«, tönte Marianne.
Erst die Jungs, jetzt Kinder, das wird ja immer doller, dachte Pielkötter, während die beiden wie auf Kommando aufsprangen, um in der Küche zu helfen. Immerhin wohlerzogene, große Kinder, doch das besserte seine Laune auch nicht gerade. Fast geriet er in Versuchung, sich einen kleinen Anruf von der Dienststelle zu wünschen, dann brauchte er sich wenigstens nicht um Smalltalk bemühen. Unwillkürlich schüttelte er den Kopf. Jetzt ärgerten ihn sogar schon die eigenen Gedanken. Immerhin war Jan Hendrik sein einziger Sohn, und er sollte froh sein, dass er sich wieder zu Hause blicken ließ. Während er sich einen Schluck Rotwein zum Probieren einschenkte, spazierte die Dreierbande mit dampfenden Schüsseln und Platten aus der Küche ins Wohnzimmer.
»Na, dann lasst es euch gut schmecken«, eröffnete Marianne das Mahl. Dabei strahlte sie wie schon lange nicht mehr. Pielkötter fühlte sich verpflichtet, wenigstens gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Seltsamerweise hatte er sich diesen Besuch einfacher vorgestellt.
»Wie läuft es bei Ihnen in der Klinik?«, fragte er, um seinen guten Willen zu zeigen. »Die Stelle haben Sie doch erst neulich bekommen. Haben Sie sich schon eingelebt?«
»Nettes Betriebsklima«, antwortete Sebastian und tupfte sich den Mund mit der Serviette ab. »Allerdings viele Überstunden. Janik beschwert sich schon, dass er mich kaum noch sieht.«
Merkwürdig, sinnierte Pielkötter, genau wie in meiner Ehe.
»Überstunden kennen Sie bei der Polizei doch sicher auch.«
»Davon kann ich wirklich ein Lied singen«, schaltete sich nun Marianne ein. »Übrigens, Willibald, willst du uns nicht den Wein einschenken?«
Erstaunt schaute Pielkötter auf sein leeres Glas. Er hatte gar nicht registriert, dass er den Wein ausgetrunken hatte. Immerhin schmeckte er vorzüglich, sofern er das als passionierter Biertrinker überhaupt beurteilen konnte. Eilig besann er sich nun auf seine Pflichten als Gastgeber und schenkte sowohl Sebastian als auch seiner Frau ein. Er selbst gönnte sich noch ein kleines Gläschen. Falls er bis zum Nachtisch nicht zum Dienst gerufen würde, durfte er sich noch etwas nachschenken.
Allmählich begann er, sich in der Runde wohl zu fühlen. Vielleicht lag das an dem liebevollen Blick, mit dem Marianne ihn an diesem Abend bedachte, vielleicht auch an Sebastians Tischmanieren, die zu seiner Erleichterung etwas zu wünschen übrig ließen. Jedenfalls redete er schon Mal mit vollem Mund, was Pielkötter sichtlich zufriedenstellte. Der Doktor verhielt sich also durchaus wie ein Durchschnittsmensch.
»Das Essen schmeckt vorzüglich«, lobte Sebastian, wieder mit mindestens einem achtel Kloß zwischen den Zähnen.
Marianne lächelte selig. »Ich koche es gerne wieder einmal für euch.«
Pielkötter schenkte noch einmal Wein aus der zweiten Flasche nach, nur sein eigenes Glas ließ er aus, obwohl sie den Nachtisch schon lange verzehrt hatten. Irgendwie beschlich ihn so ein ungutes Gefühl.
»Also Arzt möchte ich nicht
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