Die Süße Des Lebens
waren sie alle per Du gewesen. Alles war ganz logisch und normal verlaufen. Joachim Fux hatte sich in der Folge weitere Bienenvölker zugelegt, eins nach dem anderen, und gegenläufig dazu hatte Horn die Psychopharmaka-Dosis reduzieren können. Fux hatte schließlich gemeint, er habe jetzt eindeutig eine größere Klarheit in seinem Leben, und Horn hatte gefunden, mehr könne man wohl nicht erwarten.
»Natürlich will ich Honig«, sagte Horn und holte sich eine Rumkugel vom Keksteller.
»Alle wollen Honig«, sagte Joachim.
Horn zerquetschte die Rumkugel mit der Zunge am Gaumen. Else Fux sah ihm gespannt dabei zu. »Und?«, fragte sie.
Horn schluckte. »Das weißt du doch. Die besten Rumkugeln der Welt. In erster Linie Walnüsse und Butter. Fettgehalt fünfundneunzig Prozent. Wie immer.«
»Du kannst dir das leisten.«
»Ja, weil Irene zum Beispiel keine Rumkugeln macht.« Else lachte. »Armer Mann«, sagte sie. Horn wehrte ab, als sie ihm den Keksteller vor die Nase hielt. »Honig will ich, habe ich gesagt, nicht Kekse.«
Joachim wandte sich zur Tür. »Gehst du mit oder sagst du mir, was du brauchst?«, fragte er.
Horn verabschiedete sich von Else. »Alte Leute verlieren die Geduld«, sagte sie mit Blick auf ihren Mann. Sie wusste, dass Horn immer in den Imkerschuppen mitging.
Es roch intensiv nach Wachs, weich und streng zugleich. Am Ende des Raumes stand, zum Teil durch eine weiße Plane bedeckt, die Schleuder. Der Blick fiel auf sie, wenn man die Tür öffnete. An der Wand gleich links lehnten leere Wabenrahmen zur Reparatur. Dahinter hingen ein ockerfarbener Overall und der Imkerhut mit dem Schutznetz. In das Regal, das die gesamte rechte Längsseite einnahm, waren, nach der Herkunft des Honigs geordnet, die Gläser gestapelt. Davor hatte Joachim Fux eine Art Bar aus Lärchenholz hingezimmert. Dort ließ er in der Regel seine Kunden kosten. Horn setzte sich auf einen der Hocker. Er mochte die Holzverkleidung an den Wänden und in der Dachschräge, den Duft und das Sonnenlicht auf den Honiggläsern. Besonders mochte er den großen, rostbraun gestrichenen Industrieheizkörper, den Joachim an die Zentralheizung des Hauses angeschlossen hatte, um den Raum auch im Winter einigermaßen warm zu halten.
Joachim Fux erzählte von einem neuen Standort oberhalb von St. Christoph, am Südufer des Sees. Ein junger Bauer habe ihm inmitten von Lärchenwäldern einen aufgelassenen Holzlagerplatz zur Verfügung gestellt. Als Entgelt habe er Honig für sich und seine Familie verlangt, sonst nichts. Vor eindreiviertel Jahren habe er die ersten Bienen dort angesiedelt, anfangs nur fünf Völker, wie er es immer mache, wenn der Ertrag eines Ortes noch nicht einzuschätzen sei. Die Ausbeute der ersten beiden Saisonen sei dann einfach sensationell gewesen – ein besonders heller und fruchtiger Waldhonig, mittelflüssig und schwer kandierend. Er stellte ein Glas vor ihn hin und legte einen kleinen Löffel und eine Papierserviette dazu.
Horn schraubte den Deckel ab, tauchte den Löffel ein und hob ihn langsam hoch. Der Honigfaden wurde dünner und dünner. Die winzige Spirale, die er im Auftreffen auf der Oberfläche beschrieb, zerrann innerhalb einer Sekunde.
»Kannst du dir von irgendjemandem in dieser Stadt vorstellen, dass er einem alten Mann über den Kopf fährt?«, fragte er.
Joachim schaute ihn überrascht an. »Stellst du diese Frage einfach so?«
»Du kennst die Menschen hier«, sagte Horn. Er merkte, wie er sich plötzlich unwohl fühlte. Ich behandle dieses Mädchen, dachte er, sonst nichts. Es ist schlecht, darüber hinaus allzu viel wissen zu wollen.
»Wenn sie besoffen genug sind, kann ich mir das bei einigen Leuten vorstellen«, sagte Joachim schließlich.
Vielleicht ist es so einfach, dachte Horn: Jemand, der ordentlich getrunken hat und sowieso unaufmerksam ist wie die meisten Menschen hier, legt aus Versehen den Rückwärtsgang ein, stößt den alten Mann um und fährt ihm übers Gesicht. »Du hast recht«, sagte er, »ich kann mir das auch vorstellen.«
Horn nahm die Löffelspitze in den Mund. Der Honig schmeckte würzig und jung. »Weißbrothonig«, sagte er. Joachim nickte zufrieden. Horn musterte ihn. Er trägt eine Brille, dachte er, das war früher nicht so. Er wird alt.
»Wie geht es dir?«, fragte er.
»Ist das doch ein ärztlicher Hausbesuch?«
Horn leckte den Löffel gründlich ab. »In Gegenwart von Else würdest du nie die Wahrheit sagen.«
»Stimmt«, sagte Joachim, »mir geht es gut
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