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Die Süße Des Lebens

Die Süße Des Lebens

Titel: Die Süße Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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bewegte. »Das kommt von früher«, hatte er gesagt, als ihn Horn seinerzeit darauf ansprach. Joachim Fux war beinahe dreißig Jahre lang Briefträger in Furth gewesen und hatte die große schwarze Umhängetasche konsequent auf der linken Seite getragen, was die Haltungsanomalie tatsächlich erklärte, zum Teil zumindest. Dennoch hatte er noch am Schluss geschwindigkeitsmäßig alle seine Kollegen abgehängt. Anlässlich seiner Pensionierung hatte man ihm das schwarz-gelbe Puch-Dienstmoped, mit dem er mehr als fünfzehn Jahre lang unterwegs gewesen war, zum Geschenk gemacht. Er hatte es als Einziger noch regelmäßig in Gebrauch gehabt. Jetzt fuhr er damit zu seinen Bienenvölkern, sofern es die Witterung erlaubte. Ansonsten benützte er einen dunkelgrünen Opel Astra Kombi.
    »Du willst Honig«, sagte Joachim.
    »Wie kommst du drauf?«
    »Alle, die zu mir kommen, wollen Honig.«
    »Bin ich alle?«
    Else lachte laut auf. »Nein, du bist nicht alle«, sagte sie.
    Horn konnte die Szene, die er damals auf dieser Lichtung in den Wäldern südlich der Stadt erlebt hatte, immer noch abrufen wie einen Film. Keiner der Leute hatte ihn gekannt und man hatte ihn nur geholt, weil man wusste, dass er der neue Psychiater war. Ein Forstgehilfe hatte ihn in einem uralten Lada Taiga, dem jede Federung fehlte, einen gewundenen Güterweg emporgefahren und er war heilfroh gewesen, aussteigen zu dürfen. Vor ihnen hatte sich ein Holzschuppen befunden, ein schwarzbraun verwitterter Blockbau, in der Art der alten Almhütten, nur etwas höher, links neben ihm zehn oder zwölf bunt gestrichene Bienenkästen, zum Teil einzeln stehend, zum Teil übereinandergestapelt, und zwischendrin eine Menschenansammlung, aus der sich für ihn vorerst nur zwei Polizeiuniformen abgehoben hatten. Dann war ein kräftiger, glatzköpfiger Mann in Zivilkleidung auf ihn zugekommen und hatte ihm die Hand hingestreckt. »Ludwig Kovacs, Kriminalpolizei«, hatte er gesagt. Eine ältere Frau, übrigens ehemalige Krankenschwester, habe die Polizei verständigt: Sie habe zu Hause eine Botschaft ihres Mannes vorgefunden, in der er ankündige, sich aufzuhängen, und nachdem sie Haus und Nebengebäude durchsucht und ihn nicht gefunden habe, könne sie sich einen einzigen Ort vorstellen, an dem er das möglicherweise tue. »Er war dabei, einen der Bienenkästen zu reinigen, als die Kollegen ankamen – so, als wäre nichts«, hatte Kovacs erzählt. Er habe mit ihnen völlig entspannt geplaudert und gemeint, das sei alles ein Irrtum und auf die Überfürsorge seiner Frau zurückzuführen, und sie seien knapp dran gewesen, wieder wegzufahren, da habe der eine der beiden eher zufällig einen Blick in den Schuppen geworfen und die Stehleiter auf der Ladefläche des alten Lasters gesehen und die Stahlseilschlinge oben an der Spitze des Hebearms. Als er selbst mit der Frau nachgekommen war, sei der Mann bereits vollkommen außer sich gewesen.
    Horn war auf die Personengruppe zugegangen und hatte gesehen, dass die Polizisten den Mann nach wie vor links und rechts festhielten. Die Frau war vor ihm gekniet und hatte auf ihn eingesprochen. Kovacs hatte lapidar gesagt: »Das ist der Nervenarzt«, daran konnte sich Horn erinnern. Genauso gut konnte er sich an den Ausdruck in Joachim Fux’ Gesicht erinnern. Es war der Ausdruck von jemandem, der auf der Stelle sterben will.
    Womöglich war einfach bereits dadurch, dass er Fux damals die Anstaltspsychiatrie erspart hatte, eine gewisse Nähe zu ihm und seiner Frau entstanden, vielleicht hatte es auch damit zu tun, dass er nie nach dem Ursprung der Selbstmordabsicht gefragt und auch seine Abneigung gegen jede Form der Psychotherapie akzeptiert hatte. »Geben Sie mir Medikamente, damit der Drang, mich aufzuhängen, verschwindet«, hatte Fux gesagt, »und versuchen Sie ja nicht, mit mir etwas aufzuarbeiten – das geht nämlich nicht.« Er hatte ihm Medikamente gegeben, jede Menge, vor allem am Anfang, und Joachim Fux hatte schließlich nichts mehr dagegen gehabt, am Leben zu bleiben. Sie hatten über Verschiedenes gesprochen, über die Schwierigkeiten im Umgang mit Zwang und Freiwilligkeit in der Psychiatrie, darüber, dass sich Katzen und Bienen als Haustiere gar nicht so sehr unterscheiden, und über die Bevölkerung von Furth am See, diese eigenartig alpenstädtischen Menschen, über die kaum ein anderer so Bescheid wissen konnte wie ein ehemaliger Briefträger. Irgendwann hatten ihre Frauen sich kennen gelernt und kurze Zeit später

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