Die Süße Des Lebens
Schwester vor sich, und mit aller Kraft versuchte, den Drang, zu masturbieren, wegzuräuspern. Wenn es nicht gelang und er es dann doch tat, musste er hundert Kniebeugen machen oder sieben mal sieben Gebete sprechen; am Ende würde er genauso zwänglich werden wie sein Vater. »Haben Sie in Ihrer Jugend masturbiert?«, fragte Horn. Die Frau wurde blass und schien in die Erde versinken zu wollen. Der Mann lief knallrot an und räusperte sich mehrmals. Es ist alles sonnenklar, dachte Horn, und es ist alles so bieder, dass man sofort einen Migräneanfall bekommen möchte. »Wie meinen Sie das?«, fragte der Mann. Horn lehnte sich zurück. »Masturbieren, Wichsen, Selbstbefriedigung«, sagte er. Die beiden schwiegen betreten. Ich bin ein Arschloch und fühle mich gut dabei, dachte Horn. Schließlich hob die Frau den Kopf. »Ich glaube, wir sind noch nicht so weit«, sagte sie. Sie vermied es, ihren Mann anzusehen. »Worüber reden Sie zu Hause?«, fragte Horn.
»Über die Arbeit, über die Kinder, über die Dinge, die in der Zeitung stehen.«
Dinge, die in der Zeitung stehen, wiederholte Horn bei sich. Die Krawatte des Mannes war graubraun mit schrägen rosa Streifen. Er hatte schon lange nichts derartig Hässliches gesehen.
»Haben Sie eigentlich Haustiere?«, wollte Horn am Ende wissen. Ja, ein Wellensittichpärchen, antworteten die beiden, das Männchen blau, das Weibchen gelb, und ja, den Vögeln gehe es ausgezeichnet. Horn fragte nicht weiter nach. Ein gelber und ein blauer Wellensittich, dachte er, eine gelbe und eine blaue Spielfigur. Die Dinge hängen nicht zusammen. Der Zufall schafft Bedeutung.
Hintennach öffnete er das Fenster. Er lehnte den Oberkörper in den Schneefall, streckte die Zunge heraus und freute sich, als die ersten Flocken hängen blieben. Wenn mich jemand sieht, hält er mich für verrückt, dachte er.
Fünfzehn
Er war mit Marlene im Arm erwacht, eine Strähne ihres Haares zwischen seinen Lippen, ihren Daumen in seinem Nabel. Er war ganz ruhig dagelegen und hatte die kühle Luft im Zimmer gespürt. Für eine Minute war er beinahe glücklich gewesen. Zum Frühstück hatten sie Ei im Glas und gegrillten Speck gegessen und kein Wort mehr über Silvester verloren. Schließlich waren sie noch aufs Dach gestiegen und hatten sich Arm in Arm langsam im Kreis gedreht. Über Nacht hatte der Schneefall aufgehört und Stadt und See lagen im Streiflicht der Morgensonne da, als kämen sie direkt von einer Kitschpostkarte. Ich bin gut gelaunt, hatte er gedacht, das ist erstaunlich.
Es war vor allem die Aussicht, das Büro erst ein paar Stunden später wieder betreten zu müssen, die Kovacs veranlasste, die Sache selbst zu übernehmen. Außerdem fuhr er den Puch G ausgesprochen gern, dieses mächtige Gefährt mit seinem ruppigen Charme. Drittens war Demski seit zwei Tagen aus dem Urlaub zurück und alles, was da eventuell hereinkommen würde, befand sich somit in besten Händen.
Sie fuhren auf der Grazer Straße nach Süden, hinaus aus der Stadt, und bogen nach etwa vier Kilometern, unmittelbar neben dem alten Mauthaus, in westliche Richtung ab. Die Fahrbahn war gut geräumt, daher wurde es auch auf der Steigung zum Kammwandtunnel nichts mit Allrad-Auftrumpfen, wie Kovacs insgeheim gehofft hatte. Lediglich einen Milchtankwagen und einen Siebener-BMW, der dahinschlich wie auf rohen Eiern, überholte er, das war aber auch schon alles.
Der alte Mann auf dem Beifahrersitz war fahl im Gesicht und schien von Kurve zu Kurve mehr in seinen groben grauen Mantel zu versinken. »Warum haben Sie eigentlich nicht schon gestern angerufen?«, fragte Sabine Wieck von hinten. Der Mann hob langsam den Kopf. »Es war dunkel«, sagte er schließlich, »man hätte nichts mehr gesehen.« Draußen jagten die gelben Balken der Tunnelbeleuchtung vorbei. Alle paar hundert Meter drehte sich an der Decke ein riesiger Ventilator. »Außerdem ist man auf so etwas nicht vorbereitet«, sagte der Mann, »man weiß nicht, was man tun soll.« Seine Frau sei es gewesen, die schließlich gesagt habe, wer großen Tieren die Köpfe zerschlage, sei wohl auch zu so etwas imstande, und er solle auf alle Fälle die Polizei verständigen. »War Ihre Frau dabei, als Sie die Sache entdeckt haben?«, fragte Sabine Wieck. Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein. Ich fahre meistens alleine hinaus. Außerdem hat ein anderer die Sache entdeckt.«
Kovacs schaute den alten Mann von der Seite an. Er verfällt, dachte er, es ist genau wie damals. Er fragte
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