Die Süße Des Lebens
Royale. Sie ließ sich das Schwärmen erklären, die Nervosität der Bienen davor, die Spaltung des Volkes und die Tatsache, dass es die alten Königinnen waren, die aus dem Stock abtrünnig wurden, und nicht die jungen. »Und wie kriegt man den Schwarm vom Ast?«, fragte sie schließlich und Joachim Fux antwortete: »Mit einer Wasserspritze und einer Gänsefeder. Man feuchtet die Schwarmtraube vorsichtig an und fegt sie mit der Feder ab, in einen Eimer oder direkt in den Kasten.« Sie tut so, als ob sie morgen mit der Imkerei beginnen würde, dachte Kovacs, und in Wahrheit spricht sie mit ihm, weil sie fürchtet, er könne umkippen. Er sah erneut den alten Mann mit ausgebreiteten Armen auf dem Rücken im Schnee liegen und aus der amorphen Oberfläche seines Gesichtes starrte ihn ein einzelner Augapfel an. Madeye, dachte er und er kam nicht drauf, woher er diesen Namen hatte. »Hatte Sebastian Wilfert eigentlich irgendetwas mit Bienen zu tun?«, fragte er. Fux schaute ihn groß an und schüttelte dann den Kopf. »Mit Bienen?«, sagte er. »Sicher nicht. Hundertprozentig nicht.«
Mauritz gab riesige weiße Atemwolken von sich, als er bei ihnen anlangte. Ein mächtiger Mann in einer mächtigen Daunenjacke an einem strahlenden Wintertag, dachte Kovacs, eigentlich ein erhebender Anblick, aber er hat die Pflöcke nicht dabei. »Wo sind die Pflöcke?«, fragte er. »Im Depot gab es keine mehr«, antwortete Mauritz, »also hätte ich am Straßenrand Schneestangen ausreißen, auseinanderschneiden und zuspitzen müssen, was erstens verboten ist und zweitens dazu geführt hätte, dass ihr noch eine Stunde länger hättet warten müssen. Außerdem scheint die Sache hier sowieso klar zu sein.« Er deutete auf die Reifenspuren. »Was heißt ›sowieso klar‹?«, fragte Kovacs.
»Ein uralter LKW-Reifen von Vredestein, Produktionsende vor fünfunddreißig Jahren. Wurde zum Beispiel auf kleineren militärischen Mannschaftstransportern oder auf Abschleppfahrzeugen der Marke Bedford eingesetzt.«
»Woher hast du das?«
»Persönliche Kontakte zu dänischen Kriminalpolizisten«, sagte Mauritz, »die sind komischerweise am besten in Sachen Reifen.« Vielleicht gibt es da in Kopenhagen oder in Växjö eine Kollegin Reifenspezialistin mit blonden Zöpfen und Hüften, die dem Kollegen Mauritz etwas entgegenzusetzen hat, dachte Kovacs. Er trifft sie einmal pro Jahr auf einer internationalen Spurensicherungstagung und nachher reden sie über Gummimischungen und Abriebspezifika auf Flüsterasphalt. Er dachte an Marlenes Hüften, die auch eher breit in der Welt lagen, und an die zarte Figur von Elisabeth, Mauritz’ Ehefrau. ›Er geht mit ihr um, als habe sie die Glasknochenkrankheit‹, hatte ihm Frau Strobl, die Sekretärin, einmal zugeflüstert und da war ohne Zweifel was dran.
Mauritz winkte ab, als Kovacs meinte, er solle Lipp anfordern, wenn er jemanden brauche. Er komme schon allein zurecht; und außerdem habe Demski sich Lipp offenbar unter den Nagel gerissen und da sei es nicht ratsam, zu konkurrieren.
Auf dem Rückweg unterhielt sich Sabine Wieck mit Joachim Fux über die Desensibilisierung gegenüber Bienengift und dass das bei manchen Imkern gut funktionierte und bei anderen nicht. Außerdem sprachen sie über die universelle Einsetzbarkeit von Honig und Fux erzählte von den Volksschulkindern, die ihn klassenweise aufsuchten, vom Respekt, den sie alle vor den Bienen hatten, und davon, wie sie sich voller Ehrfurcht den Imkerhut überstülpten. Kovacs ging die ganze Zeit hinter ihnen her. Die beiden benehmen sich, als wären sie Vater und Tochter, dachte er, eine hübsche strahlende Tochter und ein Vater in einem abgetragenen, zerrissenen Mantel. Für den Bruchteil einer Sekunde blieben seine Augen an einem winzigen Detail hängen und zugleich huschte die Erinnerung an eine offene Frage durch seinen Kopf. Das eine hatte mit dem anderen zu tun: eine flüchtige, schattenhafte Doppelkontur, die er nicht zu fassen bekam.
Als sie aus dem Wald traten, blendete sie die weiße Fläche, die vor ihnen lag. Ein wunderbarer Tag, dachte er, ein Tag, um sich auf Leftis Terrasse zu setzen und eine ordentliche Portion Lammtagine zu essen und nachher eins von seinen zähneverklebenden Desserts. Auf keinen Fall ein Tag, um sich Gedanken darüber zu machen, wie sie Wilferts Begräbnis beschicken würden, wer sich mit den Wohnungseinbrüchen in der Silvesternacht befassen sollte, wer mit gebrochenen Kinderknochen, und wie überhaupt Ordnung in
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