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Die Süße Des Lebens

Die Süße Des Lebens

Titel: Die Süße Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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hin!, und dann abdriftete.
    Das Haus kam ihm in den Sinn, die überdachte Terrasse, die immer noch nicht gepflastert war, sein Plan einer Umstellung der Heizung von Öl auf Hackgut und Irenes Wunsch, die größere der beiden Scheunen abzureißen und in die kleinere ein Schwimmbecken einzubauen. Anderen Leuten gegenüber pflegte er zu sagen: Nie wieder ein altes Haus!, und nur einem gleichermaßen romantischen wie ahnungslosen Städter wie ihm könne es passieren, sich auf so etwas einzulassen. Vor sich selbst wusste er, dass in Wahrheit nichts besser zu ihm passte als dieses sonderbar verwinkelte Gebäude und dass die Rede vom ahnungslosen Städter reine Koketterie war. In letzter Zeit fragte er sich manchmal, welcher seiner Söhne wohl einmal das Haus übernehmen werde, und jedes Mal überfiel ihn, bevor sich auch nur der Ansatz einer Antwort zeigte, so vehement das Gefühl, ein alter Mann zu sein, dass er nicht mehr in der Lage war, weiterzudenken.
    Lili Brunner stieß ihn an. Leithner war dabei, die Abteilungsauslastung des letzten Monats zu referieren und seiner ernsten Sorge Ausdruck zu verleihen, speziell, was die psychiatrischen Betten betreffe. »Weihnachten ist jedes Jahr«, sagte Prinz und Horn war überrascht, denn Prinz sprang ihm sonst nie bei. Mit Zynismus komme man nicht weiter, sagte Leithner und Prinz erwiderte, er habe auch manchmal den Eindruck, dass es sich bei Weihnachten inzwischen in erster Linie um eine Manifestation von Zynismus handle. Horn hatte den Anschluss wieder gefunden und warf ein, er stehe mittlerweile bei zehn belegten Betten, also mehr als achtzig Prozent Auslastung und nahe am Jahresdurchschnitt. Leithner beruhigte sich trotzdem nur langsam: Er sehe da in den vergangenen Wochen eine tiefe Senke, geradezu ein Loch, und schließlich trage er die Verantwortung. Horn seufzte. Der österreichische Durchschnittsprimararzt, dachte er, opportunistisch und feige bis in die Knochen. Inge Broschek meinte manchmal, ihr Chef verhalte sich wie ein echter Masochist, denn es gebe nichts Anziehenderes für ihn als den nahenden Untergang, und Cejpek ätzte dann, der Untergang müsse in der Tat nahe sein, denn offenbar habe die Seuche der psychoanalytischen Weltbetrachtung bereits auf das Abteilungssekretariat übergegriffen. Ich weiß nichts von Inge Broschek, dachte Horn und betrachtete die etwas anorektisch wirkende, knapp vierzigjährige Frau, die mit Stift und Notizblock neben Leithner saß. Er beugte sich zu Lili Brunner hinüber. »Hat die Broschek einen Mann?« Lili Brunner schaute ihn entgeistert an. »Was willst du von ihr?«, fragte sie. Er grinste. »Nichts«, sagte er. Sie schien ihm nicht zu glauben.
    Linda war aus dem Schiurlaub zurück und hatte zehnmal so viele Sommersprossen im Gesicht wie davor. Dazu trug sie ein Shirt mit vier Campbell-Suppendosen vorne drauf. »Wo ist Ihr Weihnachtspullover?«, fragte Horn. »In der Putzerei«, sagte sie, »wegen der Ketchup-Sauce, die es zu den Spareribs gab.« Er spürte, wie er plötzlich Angst bekam, die Flecken könnten nicht mehr rausgehen, und fand das zugleich ziemlich absurd. Er versuchte sich Irene in dem Suppendosen-Shirt vorzustellen. Das Bild, das er schließlich vor sich hatte, war ausgesprochen nett, obwohl er wusste, dass sie dem ganzen Pop-Art-Zeug nicht allzu viel abgewinnen konnte. Im Halsausschnitt des Shirts lagen appetitlich ihre Schlüsselbeinmulden, ihre kleinen Brüste saßen in den beiden äußeren Suppendosen und die Ärmel reichten nach vorne bis an ihre Fingergrundgelenke. »Ist irgendwas?«, fragte Linda.
    »Wo haben Sie das Shirt gekauft?«
    »In London, im Museumsshop, in diesem ehemaligen Elektrizitätswerk.«
    »Wann waren Sie in London?«
    »Letzten Herbst. Über ein verlängertes Wochenende.«
    Die Ambulanzschwester fliegt mit ihrem aggressionsgehemmten Försterfreund übers Wochenende nach London, dachte er, und ich selbst habe die New Tate immer noch nicht gesehen.
    »Hat es Ihnen gefallen?«, fragte er.
    In erster Linie sei alles riesig gewesen, sagte sie, und unglaublich weit voneinander entfernt. Allein die Wege von einer Themse-Brücke zur nächsten seien ihr endlos vorgekommen, aber ihr Reinhard habe möglichst wenig mit der U-Bahn fahren wollen. Dabei liege dieses Attentat nun doch schon einige Zeit zurück. Noch so ein Feigling, dachte Horn. Er blickte über die Schulter zu Linda zurück und fragte sich, was sie an einem fand, der sich einzig und allein vor Bäumen nicht fürchtete.
    Das Gesteck auf

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