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Die Süße Des Lebens

Die Süße Des Lebens

Titel: Die Süße Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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dem Tisch des Ambulanzzimmers war total dürr. Er montierte die Kerze ab und warf das Reisig in den Mist. Er erinnerte sich daran, wie Irene damals trotz ihrer Schwangerschaft darauf bestanden hatte, auf die Kuppel von St. Paul’s zu steigen, und wie sie oben völlig außer Atem gewesen war und trotzdem gestrahlt hatte. Sie hatten über die Zukunft gesprochen, über das Kind, über die Aufnahmeaussichten bei diversen Orchestern und über seine Facharztausbildung. Von Furth war noch keine Rede gewesen. Wo tue ich die Kerze hin?, fragte er sich kurz, dann steckte er sie in seine Tasche. Rot mit goldenen Sternen. Gegen Kitsch in kleinem Umfang habe sie nichts, sagte Irene manchmal.
    Elena Weitbrecht, die Supermarktleiterin mit den Ticks, hatte einen grobschlägigen Tremor an der rechten Hand. Horn war nach kurzer Untersuchung sicher, dass sie ihn simulierte. Ich möchte gar nicht wissen, warum sie das tut, dachte er, ließ die Medikamente unverändert, sprach von einer Beobachtungsphase und bestellte sie in einer Woche wieder. Sie schien damit halbwegs zufrieden zu sein. Einen zwölfjährigen Buben, der seit einigen Monaten unter Anwendung komplizierter Zwangsrituale den Schulbesuch vermied und seine gesamte Familie zur Verzweiflung trieb, wies er zum psychologischen Test zu, und einem frühpensionierten Bauarbeiter mit einer hypochondrisch getönten Somatisierungsstörung verordnete er eine Tablette Fluoxetin täglich.
    Horn hatte noch zwei Karteiblätter vor sich liegen, als plötzlich Benedikt Ley im Türrahmen lehnte. Er war bereits in Ruhe schwer ataktisch, das sah man auf den ersten Blick, und nachdem Horn ihn aufgefordert hatte, an den Schreibtisch zu kommen, taumelte er in einem wilden Zickzack durch den Raum. »Ich brauche wieder eine Aufnahme, Dottore«, lallte er und versuchte zu grinsen. Seine Augen waren rot, die Pupillen stecknadelkopfgroß. »Was hast du genommen?«, fragte Horn.
    »Meine Mutter findet auch, dass ich eine Aufnahme brauche.«
    Horn spürte, wie ihm die Galle hochkam. »Wo ist deine Mutter?«
    Ley deutete zur Tür.
    »Hol sie rein.«
    Ley versuchte sich aufzurappeln, schaffte es aber nicht. Horn winkte ab und ging selbst zur Tür.
    Die Frau saß im entferntesten Winkel der Wartezone. Sie trug diesmal ein olivgrünes Tweedkostüm, das ihr zwei Nummern zu groß war. Aus dem Secondhandshop, dachte Horn. »Was soll das?«, fragte er laut. Sie schaute ihn ängstlich an. »Was meinen Sie?«
    »Warum bringen Sie ihn her?«
    »Seit Silvester ist er so«, sagte sie. Dann schwieg sie wieder. Horn fasste ihren Oberarm und zog sie mit sich ins Zimmer. Ihr Sohn grinste immer noch. Horn nötigte sie, sich seine Pupillen anzusehen, und hielt einen kurzen Vortrag über Wirkung und Nebenwirkungen von Opiaten. »Dottore, ich hab diesen Scheiß von Opiaten nicht genommen«, protestierte Ley. Horn schob ihm mit Vehemenz den linken Ärmel seines Sweatshirts hoch. »Sie kratzen mich, Dottore!« Ley versuchte Horn seinen Arm zu entziehen. »In Amerika würde ich Sie verklagen.« Der junge Mann bekam die ausfahrenden Bewegungen seines Rumpfes kaum unter Kontrolle. Seine Mutter stand da, ignorierte die Einstichstellen und schaute zu Boden.
    Horn fühlte plötzlich, dass er kurz nach fünf Uhr aus dem Bett gekrochen war und seither mit den angstvollen Begehrlichkeiten eines Abtes und eines Primararztes zu tun gehabt hatte, mit einer Putzfrau, der es egal war, wenn er fror, und mit einer Ambulanzschwester, die ihn damit konfrontierte, dass er seit zwanzig Jahren nicht auf die Idee gekommen war, einfach so nach London zu fliegen. Er stand auf.
    »Scheren Sie sich nach Hause – beide«, sagte er. Die Frau hob den Kopf. Ley sagte: »Das können Sie nicht machen.«
    »Und ob ich das machen kann«, erwiderte er.
    »Ich brauche eine stationäre Aufnahme.«
    »Genau so dringend wie eine Blinddarmoperation«, sagte Horn. Ley zuckte erst zusammen, dann riss er die Augen auf und krallte sich an die Tischkante. »Er hat alles Mögliche genommen, total durcheinander«, sagte die Frau.
    »Und das ab dem Zeitpunkt der letzten Entlassung?« Sie nickte. Horn machte eine resignierende Geste.
    Benedikt Ley hatte es inzwischen geschafft, aufzustehen. Da es ihm nicht gelang, Horn zu fixieren, schaute er irgendwo hin. Er begann zu brüllen. »Sie Schwein! Was haben Sie mit mir vor?!«
    »Das habe ich schon gesagt. Ich schicke Sie nach Hause.«
    »Sie wollen mich operieren, Sie perverses Arschloch!«
    »Niemand will Sie operieren. Sie

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