Die Sumpfloch-Saga Bd. 1 - Feenlicht und Krötenzauber
zeigte.
„ Reicht das?“, fragte er.
Thuna spürte deutlich Erleichterung.
„ Es sieht so echt aus!“, rief sie.
„ Natürlich sieht es das“, erwiderte Vandalez. „Ich habe es mir oben ausgeliehen und gegen ein Stück Mauer getauscht.“
Thuna brauchte einen Moment, bis sie verstand.
„ Sie meinen, Sie haben die Mauer von hier unten nach oben gezaubert und das Fenster von oben nach hier unten? Und die Aussicht aus diesem Fenster, die gibt es wirklich?“
„ Aber sicher. Verrätst du mir nun endlich deinen Namen?“
„ Thuna. Einen Nachnamen hab ich nicht.“
„ Ah“, sagte Vandalez und ging zu seinem Schreibtisch. „Ein Waisenkind. Und jetzt setz dich, damit wir mit dem Unterricht anfangen können.“
Thuna beeilte sich, in ihre Bank zu kommen. Dabei bemerkte sie die großen Augen ihrer Mitschüler. Die waren also auch erstaunt über das Fenster – oder den Anblick des Halbvampirs. Thunas Herz, das zwischendurch rasend schnell geklopft hatte, beruhigte sich allmählich. Immer wieder schaute sie zum Fenster hinüber und erfreute sich an der Aussicht. Ab und zu kam eine Libelle oder eine Fliege vorbei, flog ein bisschen an der Scheibe entlang und wieder fort. In der Ferne ragten die dunklen Bäume des Waldes auf.
Das Fenster sollte Thuna erhalten bleiben. Kein Lehrer nahm davon Notiz, niemand setzte es an seinen ursprünglichen Ort zurück. Thuna empfand dafür tiefe Dankbarkeit. Sie war ganz sicher, dass nichts an diesem Lehrer Vandalez sie jemals wieder in Schrecken versetzen könnte.
Sein Unterricht über Naturkreisläufe war sehr interessant. Thuna sog jede Information hungrig auf. Deswegen war sie nach Sumpfloch gekommen: Sie wollte so viel wissen über ihre Welt und jetzt endlich hatte sie die Gelegenheit dazu. In der Pause durften die neuen Schüler in ihren Booten durch einen Tunnel nach draußen in die Sümpfe fahren. Das machte Spaß, auch wenn Maria Angst hatte, das Boot könne kippen, und Scarlett behauptete, in den Sümpfen gäbe es Ungeheuer, die Schüler an den Beinen in die Tiefe zögen, sobald sie sie erwischten.
Bis zum Mittagessen versuchten sich die Schüler in Tiersprache. Thuna, Lisandra und Maria verstanden nicht mal die einfachsten Geräusche. Scarlett und Berry waren wesentlich begabter. Die Lehrerin, eine gelbhäutige Greisin mit Buckel, Haarknoten und Kittelschürze, hätte ihrer aller Ururgroßmutter sein können. Thuna wunderte sich, dass sie noch unterrichtete.
Zu Mittag gab es – so wie an allen anderen Tagen in Sumpfloch bis in alle Ewigkeit – Eintopf. Die Eintöpfe in Sumpfloch schmeckten gut. Man musste nur das natürliche Misstrauen ablegen, das einen überkam, wenn man den Inhalt des Eintopfes näher untersuchte. Maria, die am Morgen so gut wie nichts gegessen hatte, schloss die Augen, während sie aß. Und das war sicher eine ausgezeichnete Idee.
Die Bibliothek von Sumpfloch lag auf der Seite der Festung, die an den Garten grenzte. In diesen Räumen pflegten die Sumpflocher Schüler ihre Hausaufgaben zu machen. Thuna hatte das Glück, an diesem Tag einen Tisch unmittelbar am Fenster zu erwischen. So schaute sie viel nach draußen, während sie arbeitete, vor allem betrachtete sie den dunkelblauen Teich mit den fluoreszierenden Seerosenblättern.
Begabt wie sie war, wurde sie viel früher mit den Hausaufgaben fertig als ihre Freundinnen. Darum verabschiedete sie sich und fand den Weg durch die vielen düsteren Flure Sumpflochs hinunter in den Garten. Von hier unten sah der Garten ganz anders aus als von oben: Denn nun ging Thuna unterhalb der dichten Bäume umher, sah die vielen kleinen Blumen und seltenen Gräser auf der Erde und entdeckte auch einen Gärtnerjungen, der damit beschäftigt war, die Gefräßigen Rosen mit magischer Tinktur zu beträufeln, damit sie sich nicht gegenseitig zerfetzten.
Er war ein paar Jahre älter als Thuna, hatte auffallend goldblondes Haar und ein Gesicht, das so friedlich und gutmütig aussah, wie man es selten in Sumpfloch fand.
„ Hallo!“, rief er ihr zu. „Neu hier?“
Sie nickte. „Und wie lange bist du schon hier?“, fragte sie zurück.
„ Zwei Jahre. Aber nicht als Schüler, nur als Gärtner. Ich gehe in Quarzburg zur Schule.“
„ Wie geht denn das?“, fragte Thuna. „Quarzburg ist mindestens … mindestens drei Stunden mit der Kutsche von hier entfernt!“
„ Nicht alle Kinder müssen auf Internate gehen“, erklärte er lachend. „Morgens gehe ich in Quarzburg zur Schule, dann nehme
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