Die Sumpfloch-Saga Bd. 1 - Feenlicht und Krötenzauber
sollte, und das an einem Ort, an dem sie nur Feinde erwartet hatte.
„ Sie sind nur ein Halbvampir“, erwiderte sie nun, „ich bin aber eine ganze Cruda. Ich kann nur böse sein, ich habe gar keine andere Wahl!“
„ Ich sehe das nicht so pessimistisch wie du, Scarlett. Wenn du so böse wärst, wie du behauptest, dann hättest du nicht versucht, die Schlange zu bekämpfen. Du würdest auch nicht dein Talent unterdrücken, sondern heimlich ausprobieren, was du eigentlich kannst. Einer bösen Gabe muss keine böse Gesinnung folgen. Ich schlage dir daher vor, dass du dich in meinem Unterricht durch große Dummheit auszeichnest und nur schlechte Noten schreibst, damit ich dir Nachhilfestunden anbieten kann. In diesen Nachhilfestunden werde ich dir beibringen, wie du mit deiner Gabe umgehen kannst. Und wie du sie am besten verheimlichst. Fürs Erste empfehle ich dir, deine bösen Wünsche und Taten nicht herunterzuspielen. Wenn du es nicht lassen kannst, dann versuche etwas zu zaubern, was möglichst normal aussieht. Hüte dich vor allem davor, unbelebten Dingen Leben einzuzaubern. Das ist das Gefährlichste, was du tun kannst.“
„ Aber ich habe keinen Einfluss darauf, was ich zaubere! Wenn ich es normal aussehen lassen könnte …“
„ Du kannst“, sagte Vandalez. „Du bist es nur gewohnt, gegen dich selbst zu arbeiten, wenn du zauberst. Benutze deine Fähigkeit mit offenen Augen und du wirst deinen Zauber formen können. Natürlich wird es ein böser Zauber sein, aber wenn du dich damit abfindest, wirst du am meisten ausrichten können. Der Zauber ist ein Teil von dir – als du versucht hast, die Schlange auszuschalten, grenzte das an Selbstmord!“
Scarlett nickte. Sie schöpfte Hoffnung und war dem Lehrer sehr dankbar. Ihr Leben war ihr immer vorgekommen wie ein Irrweg durch die Dunkelheit. Überall waren Fallen und Löcher im Boden und sie musste hoffen, dass sie nicht aus Versehen hineinfiel. Je älter sie wurde, desto zahlreicher wurden die Fallen, und die Zukunft hatte sie immer als eine Dunkelheit gefürchtet, in der es nur noch Fallen, aber keinen Boden mehr gab. Jetzt, an diesem Abend, wandelte sich das Bild, das sich Scarlett von ihrer Zukunft machte: Es gab einen Weg durch die Dunkelheit und es gab jemanden, der ihr dabei helfen würde, diesen Weg zu sehen und zu finden. Sie fühlte sich schon wieder viel kräftiger, als sie aufstand und sich von Viego Vandalez verabschiedete.
„ Danke“, sagte sie. „Ich werde all das versuchen. Aber … was hatten Sie mit der anderen Cruda gemeint? Warum werden wir beobachtet?“
„ Das behältst du für dich“, sagte Vandalez entschieden. „Die Cruda darf nicht wissen, dass ihre Pläne teilweise bekannt sind. Sprich mit niemandem darüber! Oder ich spreche über dein Geheimnis!“
Das klang nun wieder bedrohlich. Scarlett verließ das Arbeitszimmer und dachte, dass sie bei den Nachhilfestunden, die Vandalez ihr geben wollte, vielleicht noch mehr über die andere Cruda herausfinden könnte. Es gab also Späher in Sumpfloch. Aber von einer ganz anderen Seite, als Scarlett gedacht hatte.
Kapitel 6: Höllenhunde und Gelichter
Scarlett hatte nach all diesen Enthüllungen angenommen, dass die nächsten Wochen in Sumpfloch sehr aufregend werden würden. Doch hier täuschte sie sich. Die letzten Sommertage vergingen ereignislos. Zu Beginn des Herbstes wurde es stürmischer und die Luft dafür frischer. Rund um die Sümpfe färbten sich die Blätter der Bäume bunt, nur die dunklen Tannen des großen Waldes blieben so schwarz wie eh und je. Dann fielen die Blätter zur Erde, sie bildeten ein buntes Muster auf den Sümpfen, und darauf prasselte jede Nacht der Regen. Morgens war es neblig und wenn sich der Nebel gegen Mittag verzog, dann standen Scharen von Krähen an den matschigen Ufern. Es waren Krähen, so groß wie Hunde, die aus dem Wald gekommen waren, um Schlangen aus dem überlaufenden Wasser zu fischen.
Abends war der Himmel meist klar und wenn die Nacht anbrach und die Regenwolken über den Horizont gekrochen kamen, saß Thuna auf dem Dach über ihrem Zimmer und versuchte zu verstehen, was es mit dem Licht der nächtlichen Gestirne auf sich hatte. Denn seit sie bemerkt hatte, dass sie unter Wasser atmen konnte, hatte sie sich eingehend mit dem beschäftigt, was man die Feen-Begabung nannte. Menschen, die sie besaßen, so hatte es im Lexikon geheißen, konnten unter Wasser atmen, in den Gedanken anderer Menschen schwimmen und mit dem Licht
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