Die Sumpfloch-Saga Bd. 1 - Feenlicht und Krötenzauber
sah, dass er zu ihrem Bett kam und sich über sie beugte.
„ Wir sollten uns unterhalten“, flüsterte er. „Aber nicht hier. Kannst du aufstehen?“
Scarlett stürzte von einer Angst in die nächste. Natürlich wollte der Vampir sie nicht beißen, er war ja ein Lehrer. Aber er wollte mit ihr sprechen, was nur bedeuten konnte, dass er herausgefunden hatte, wer für die Rosenblatt-Schlange verantwortlich war. Mühsam richtete sich Scarlett im Bett auf, rutschte über die Bettkante und stellte sich auf ihre Füße. Doch das Stehen wollte ihr noch nicht gelingen, sie musste sich auf Vandalez’ Arm stützen, um stehen bleiben zu können.
„ Ist die Schlange tot?“, fragte Scarlett, als sie zur Tür schritten.
„ Nein“, antwortete er. „Aber du hast sie so gut in Schach gehalten, dass ich sie mir schnappen konnte. Ich habe sie in ein sicheres Terrarium gesperrt.“
Scarlett empfand fast Mitleid für die Schlange. Auch sie fühlte sich wie in einem Terrarium, aus dem es kein Entkommen gab. Viego Vandalez brachte sie in sein Studierzimmer, das am selben Gang lag. Es war ein Zimmer im vierten Stock, das hinaus auf den Hof zeigte. In seinem Zimmer war es schon sehr dunkel, doch er machte kein Licht an. Scarlett erkannte viele Bücher an den Wänden, einen Schreibtisch, ein paar Stühle und, wenn sie sich nicht täuschte, ein paar Ketten mit Kreuzen, die vom Leuchter an der Decke ins Zimmer hinabbaumelten.
„ Setz dich, Scarlett“, sagte er und zeigte auf einen Stuhl in der Nähe des Fensters.
Sie folgte seiner Aufforderung, weil sie sowieso nicht mehr stehen konnte. Er schloss die Tür und setzte sich zu ihr.
„ Wenn es dir gelungen wäre“, sagte er, „diese Schlange zu besiegen, dann wärst du jetzt vermutlich tot. Du weißt, warum?“
„ Nein“, sagte Scarlett. „Hat sie mich denn auch gebissen?“
„ Du weißt genau, dass sie dich nicht gebissen hat“, erwiderte Vandalez streng. „Und jetzt hör auf, mir etwas vorzumachen, ich weiß Bescheid!“
„ Was meinen Sie?“, fragte Scarlett und versuchte, so erstaunt wie möglich auszusehen. „Worüber wissen Sie Bescheid?“
„ Ich weiß, dass du eine Cruda bist.“
Scarlett glaubte, sie müsse vom Stuhl kippen. Doch sie schaffte es, sich aufrecht zu halten. Sie durfte sich nichts anmerken lassen. Das Schlimmste konnte ihr widerfahren, wenn man ihr nachweisen konnte, dass sie tatsächlich eine Cruda war. Crudas gingen nicht auf öffentliche Schulen, Crudas wurden fortgebracht, niemand wusste, wohin.
„ Was bitte?“, fragte sie. „Crudas gibt es doch gar nicht mehr!“
„ Du kannst von Glück sagen, Scarlett, dass es noch eine andere Cruda gibt, eine erwachsene und sehr gefährliche Cruda, die allem Anschein nach ihre Späher nach Sumpfloch geschickt hat und es genau beobachtet. Da die Rosenblatt-Schlange ganz eindeutig das Werk einer Cruda gewesen ist, glaubt man nun, die Cruda selbst sei hier gewesen und habe die Schlange geschaffen. Ich aber weiß, dass du es gewesen bist, Scarlett, und nun streite es nicht länger ab, denn ich will dir helfen.“
Scarlett starrte den Halbvampir an oder vielmehr das, was sie von ihm erkennen konnte: die scharf geschnittene Nase, ein dunkles Auge und einen dieser gruseligen Mundwinkel, hinter dem sich ein zu langer Schneidezahn verbarg.
„ Sie meinen“, begann Scarlett vorsichtig, „dass Sie niemandem von ihrem komischen Verdacht erzählt haben?“
„ Natürlich habe ich niemandem davon erzählt“, antwortete er. „Als Wesen, das selber zur Hälfte auf der Nachtseite dieser Welt steht, weiß ich zu gut, wie gefährlich es für dich wäre, wenn dieser Umstand bekannt würde. Du musst ihn unter allen Umständen verheimlichen, aber das wird nicht gelingen, wenn du täglich ein paar auffällige Hexereien verübst.“
„ Ich versuche es ja zu unterdrücken“, brach es aus Scarlett hervor, die sich nicht länger verstecken konnte. „Aber es passiert einfach, ich habe die Rosenblätter nur in die Hand genommen!“
„ Es passiert, weil du nichts über dich weißt“, sagte Vandalez. „Dir hat nie jemand beigebracht, was das für Kräfte sind, die du besitzt, und wie du damit umgehen kannst. Natürlich kannst du sie kontrollieren, so wie ich den Vampir in mir kontrollieren kann. Aber dazu musst du sie besser kennenlernen.“
Scarlett hatte noch niemals in ihrem ganzen Leben mit einem anderen Menschen über ihr Geheimnis gesprochen. Sie war erschüttert, dass sie jetzt auf einmal Hilfe erhalten
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