Die Sumpfloch-Saga Bd. 1 - Feenlicht und Krötenzauber
vollständig einem Tier ähnelten und kaum einem Menschen. Einzig ihr Kopf erinnerte von ferne an ihre menschliche Natur. Ihr Hals war faltig, ihr Kopf rund. Sie stützte sich mit den kräftigen Vorderfüßen auf einem Tisch ab, um sich aufrecht halten zu können. Normalerweise, hieß es, bewegte sie sich auf allen vieren fort.
„ Die Reegierung“, fuhr sie in quälender Langsamkeit fort, „hat mich gebeeten, euch zu warnen. Einee Hexe“, sie machte eine lange Pause und schnaufte dabei durch ihre großen, graugrünen Nasenlöcher, „bedroht Sumpfloch. Ich geebe das Wort an“, sie machte wieder eine Pause, „Kolleegin Glazard. Bittee!“
Bei aller Schwerfälligkeit musste man der Schildkröten-Direktorin lassen, dass sie eine gewisse Eleganz und Würde besaß. Ganz langsam bewegte sie ihre schweren Vorderfüße rückwärts, um sich dann vom Tisch fallen zu lassen, was nicht plump, sondern bedeutungsvoll aussah. Mit ihren faltigen, alten Augen zwinkerte sie Estephaga Glazard zu, die hierauf das Wort ergriff.
„ Die Regierung hat sich angekündigt“, erklärte Estephaga, „um die Entführung zweier Schülerinnen zu untersuchen. Wir müssen davon ausgehen, dass die Gefahr längst nicht vorüber ist. Es ist nur zu wahrscheinlich, dass weitere Entführungen stattfinden werden.“
Hier ging zum ersten Mal ein erschrockenes Raunen durch die Menge der Schüler. Diese schreckliche Neuigkeit konnte jeden von ihnen betreffen!
„ Die Schüler werden darum angehalten“, sagte Estephaga Glazard, „die Schule und den Schulgarten nicht zu verlassen. Beides wird streng bewacht, sobald die Soldaten der Regierung hier eingetroffen sind. Dies wird in den Abendstunden der Fall sein. Sollten einige von euch etwas Außergewöhnliches zu berichten haben, wendet euch bitte an mich oder einen der anderen Lehrer, deren Namen ihr auf der Liste, die dort drüben an der Tür hängt, findet. Die Regierung wird natürlich jeden Einzelnen von euch ausführlich befragen.“
Erst jetzt fiel Berry auf, dass Lisandra und Geicko nicht unter den Zuhörern waren. Wo steckten die beiden bloß? Dass Lisandra mit diesem Jungen befreundet war, das wusste Berry sehr gut. Sowohl Lisandra als auch Geicko standen auf Berrys Liste der Verdächtigen. Berry hatte nämlich in einem Buch vermerkt, welche Schüler auf Sumpfloch möglicherweise Erdenkinder sein könnten und welche nicht. Leider gab es auf Sumpfloch viele Waisenkinder und viele Kinder, die im Zaubern unbegabt waren. Damit war der Kreis der Verdächtigen groß. Da die Erdlinge aus den unteren Klassen stammen mussten, hatte Berry an die zehn Schüler ausgemacht, die sie sorgfältig beobachtete. Sie musste unbedingt herausfinden, wer das dritte Erdenkind war. Und zwar schnell. Als sie merkte, dass Estephaga Glazard nichts Wichtiges mehr zu verkünden hatte, stand Berry hustend auf und betupfte sich mit ihrem Taschentuch die Stirn. Damit wollte sie Estephaga zeigen, dass sie sich immer noch krank fühlte und in ihr Bett zurückkehren musste. Scarlett schnaubte verächtlich, als sie das sah. Berry hörte es, aber es war ihr egal. Mit kleinen Schritten verließ sie den Hungersaal.
Draußen dämmerte es schon, als es Scarlett endlich gelang, unbemerkt in den Garten zu schleichen. Dank des Fersenzaubers wusste Berry über jeden von Scarletts Schritten Bescheid. Sie folgte ihr und verbarg sich in den Schatten der Glasblättrigen Hecke, von wo aus sie Scarlett gut beobachten konnte. In der Erde, unter den Ungenießbaren Apfelbäumen, war das Spiegelfon sehr schmutzig geworden. Es dauerte unendlich lange, bis Scarlett den Spiegel gesäubert hatte. Zumindest kam es Berry so vor. Sie zitterte in ihrem Versteck. Sie wusste nicht, ob vor Angst oder Kälte. Sie wusste nur, dass Scarlett etwas sehr Leichtsinniges tat. Und bei aller Feindschaft – Berry wollte trotzdem nicht, dass Scarlett etwas zustieß. Auf der anderen Seite konnte Berry nichts Besseres passieren. Wäre Scarlett fort, könnte sie Berry nicht mehr des Verrats überführen.
Endlich war es soweit: Scarlett hob den Spiegel in die Höhe und sprach das Bannwort: „Lilientag!!!“ Wieder wurde Berry von einer kleinen Welle des Neides erfasst. Sie hatte stets fünf Versuche gebraucht, um das Spiegelfon zum Laufen zu bringen. Scarlett schaffte es gleich beim ersten Mal, als hätte sie ihr Lebtag nichts anderes getan, als kompliziert verzauberte Spiegelfone zu entbannen.
Dass es geklappt hatte, erkannte Berry daran, dass aus dem
Weitere Kostenlose Bücher